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Gewitter über Pluto: Roman

Gewitter über Pluto: Roman

Titel: Gewitter über Pluto: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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ist? fragt er. Sie sagt,
sie hätte nachgesehen. Nachgesehen? Was denn nachgesehen? fragt er. Über dein
Leben, sagt sie und erklärt ihm, daß sie, während er geschlafen hat, im
Computer war. Die Sache liegt zwar verdammt lange zurück, doch der Computer ist
ganz gut drauf und hat die alten Daten ausgespuckt. Leben im 21. Jahrhundert.
Irgendwie drollig. Na, jedenfalls habe sie mal geschaut, ob etwas über ihn zu
finden sei. Über mich?! lacht er laut auf. Was hast du gefunden? Die Liste
sämtlicher Sozialhilfeempfänger? Sie aber sagt: Da gab es so einen Preis zu
deiner Zeit, den wichtigsten damals, den für die ganz großen Dichter. Also… kurz bevor du verschwunden bist, na, da
hast du diesen Preis bekommen. Ich habe Fotos gesehen, wie man dir Blumen in
die Hand drückt und du irgendwelche Hände schüttelst und eine Rede hältst und
der Held der Welt bist. Zumindest der Held unter den Gscheiten.«
    Â»Aha«, sagte die dritte der Grazien, »das soll jetzt wohl ein Symbol
für was sein. Wie schrecklich Erfolg ist. Oder wie soll ich das verstehn?«
    Â»Du sollst dein Hirn zusammenreißen«, empfahl Mick. »Du sollst
begreifen, daß man sogar für einen Erfolg bereit sein muß. Daß es mindestens so
schwierig ist, ein Glück wie ein Unglück auszuhalten. Wir fürchten uns immer
nur vor der Niederlage, nie vor dem Sieg. Immer nur vor der Krankheit, nie vor
dem Gesundbleiben. Es gibt aber Triumphe, die bringen dich um.«
    Â»Na, das kann uns sicher nicht passieren«, meinte die Rothaarige.
    Â»Genau das ist der Fehler«, sagte Mick. »So hat es wohl auch der
Mann in dieser Geschichte gesehen. Manche glauben, sie seien vor dem Glück
gefeit. Und wenn das Glück dann kommt, kriegen sie einen Schlag, einen Schlag
ins Gesicht oder einen Herzschlag, oder sie verlieren ein bisserl den
Verstand.«
    Die Frau, die ich zuvor auf einen falschen Champagner eingeladen
hatte, fragte jetzt: »Na gut. Wie geht’s weiter? Ich mein, in dem Raumschiff.«
    Â»Der Typ war vollkommen fertig«, berichtete Mick. »Wollte unbedingt
zurück in sein altes Leben. Seinen blöden Dichterpreis genießen. Hat nicht
kapiert, daß ihn dieser Preis umgebracht hat. Das tun Preise meistens. Sogar
die Preise vom Preisausschreiben. Da steckt immer der Teufel mit drin. Man muß
schon clever sein, um einen Preis zu gewinnen und danach gesund im Kopf zu
bleiben.«
    Â»Wie viele Preise hast du eigentlich schon gewonnen, Mickilein?«
    Â»Oha! Sind wir heute denn besonders mutig?« erkundigte sich der
Mann, der Mick war. Seine Augen waren jetzt kein Bergsee mehr, sondern ganz aus
Senf.
    Die drei Grazien senkten ihre Blicke. Man war am Ende des Spaßes
angelangt. Mick sagte: »Zurück auf eure Plätze!«
    Die drei Frauen erhoben sich und balancierten auf dünnen Absätzen
wieder an ihren alten Tisch.
    Mick verschränkte seine beringten Finger zu einer kleinen
Drahtskulptur und sagte: »Wie wär’s, wenn Sie jetzt einen Zug tun täten? Nicht,
daß ich Sie drängen will.«
    Â»Ihre kleine Geschichte hat mich ein wenig abgelenkt«, sagte ich
ihm. »Aber das war ja wohl auch der Sinn der Übung.«
    Â»Ich hoffe, Sie sind keine Mimose«, meinte Mick.
    Â»Eher bin ich ein Roboter.«
    Meine Güte, was wollte ich denn damit gesagt haben? Nun, ich war mir
nicht sicher. Wie ich schon erwähnt habe, besitze ich alles andere als ein
maschinenhaftes Gedächtnis. Ich bin kein Rechner, ich bin vergeßlich. Auch wenn
man sich natürlich gut vorstellen kann, daß eine Maschine, etwa ein Androide,
welcher vergeßlich ist, genau diese Vergeßlichkeit als Beweis dafür ansieht,
kein künstlicher, sondern ein richtiger Mensch zu sein. Maschinen tendieren
dazu, den Makel als menschlich anzusehen. Sie idealisieren den Makel. Sie
wünschen sich eine versaute Kindheit, eine ansteckende Krankheit, eine Schwäche
(und sei’s auch nur eine Schwäche für die Poesie), einen fehlenden Arm, einen
Alterungsprozeß oder eben eine individualistisch anmutende Vergeßlichkeit.
    Doch Vergeßlichkeit ist ganz sicher kein Privileg der Menschen. Und
fotografisch genaue Erinnerungen wiederum kein Privileg der Maschinen. Und
obgleich ich weder ein Mensch noch eine Maschine bin und prinzipiell mit einem
eher schlechten Gedächtnis ausgestattet, überkam mich in diesem Moment die
Überzeugung, daß ich

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