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Gewitter über Pluto: Roman

Gewitter über Pluto: Roman

Titel: Gewitter über Pluto: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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fest.
Vielleicht ein Arbeiter, obwohl er so gar nicht nach Arbeiter aussah.
    Wie sehen Arbeiter aus? Nun, ein wenig krank und ein wenig alt und
ein wenig böse vom vielen harten Leben. Der Typ aber, der dieses schmale Bett
ausfüllte, schien den ruhigen Schlaf derer zu schlafen, die das Schicksal noch
nicht allzu fest angefaßt hat. Eher sah er aus, als stamme er geradewegs aus
dem Werbefernsehen. Abteilung Gesichtspflege.
    Gut, wenn der Mann schlafen wollte, sollte er schlafen.
Wahrscheinlich hatte er Tabletten genommen. Ich drehte mich zu Nix, griff nach
dessen Arm, zog ihn sachte in den Vorraum hinaus, um nicht flüstern zu müssen,
und fragte: »Okay, wo ist der Vogel?«
    Â»Wo ist das Geld?« fragte Nix zurück, als hätte er nicht gewußt, daß
ich mir zuerst einmal seine Arbeit ansehen mußte. – Nicht, daß ich wirklich
imstande gewesen wäre, die Qualität zu beurteilen. Aber so gestaltete sich nun
mal das übliche Prozedere. Wie bei diesen Drogendealern, die sich immer erst
ein bißchen Stoff aufs Zahnfleisch schmieren, bevor sie die Ware bezahlen.
    Unglücklicherweise war Nix betrunken. Einer von denen, denen es
nicht guttat, betrunken zu sein. (Ich konnte nicht ahnen, daß das für alle
Wiener gilt, daß deren lustvolles und durchaus virtuos anmutendes Saufen und
Rauchen geradewegs in den Abgrund fataler Selbstüberschätzung führt.)
    Â»Zuerst das Geld«, sagte Nix, »oder Sie können gleich wieder ohne
den Vogel nach Hause fahren. Außerdem verlange ich, daß Sie noch ein paar
Scheine drauflegen. Das war eine richtige Scheißarbeit. Es ist sehr viel
schwerer, was zu fälschen, was es schon gibt. Das ist wie…wie…«
    Er griff sich an die Stirn. Es sah aus, als lege er einen Hebel um.
Den Hebel zur Vernunft hin, hoffte ich. Doch die Hoffnung begrub sich rasch.
Nix äußerte, er hätte einen Freund nach Solnhofen schicken müssen, um Fotos zu
machen, präzise Fotos, Detailfotos, Profifotos. Dadurch würden sich die
Unkosten erhöhen. Nicht zuletzt, damit dieser Freund nicht etwa auf die Idee
komme, etwas auszuplaudern.
    Â»Wenn Sie einen zweiten da mit reinziehen, ist das Ihre Sache«,
erklärte ich Nix.
    Es ging mir nicht ums Geld, keineswegs. Es ging mir darum, daß die
Vereinbarungen eingehalten wurden. Das ist wichtig, im Kleinen wie im Großen,
im Privaten wie im Öffentlichen. Wenn ein Haus teurer wird als geplant, ist das
Unglück vorprogrammiert. Dann lieber nur ein halbes Haus zum veranschlagten
Preis. Ich weiß – es gibt keine halben Häuser. Es gibt sie aber nur darum
nicht, weil keiner sich das traut.
    Ich hingegen traute mich sehr wohl. Ich zog ein Messer aus der
Tasche, ein schönes, großes Gerät, dessen Klinge ich Nix quer entgegenhielt,
sodaß er sein Spiegelbild darin erkennen konnte. Ich spekulierte, er würde auf
diese Weise, im Angesicht der eigenen Besoffenheit, den Ernst der Lage
erkennen. Doch er lachte nur blöde und sagte mir, daß der Vogel jetzt umso
teurer werde.
    Ich wendete die Klinge in die Horizontale. Jetzt brauchte sich Nix
nicht mehr zu betrachten. Mit einer raschen, flüssigen Bewegung zog ich die
Schneide durch die Vorderseite seines Halses, so tief, daß ich einen Moment
meinte, sein Schädel reiße ab. Schnell trat ich hinter Nix und fing ihn auf. Er
besaß noch die Kraft, sich mit beiden Händen auf die riesenhafte Wunde zu
fassen. Aber die Kraft war schnell dahin. Während ich ihn in das Hinterzimmer
zog, spürte ich seine grundsätzliche und endgültige Ermattung. Er hing in
meinen Armen wie bei diesen Gesellschaftsspielen, wenn der eine sich ganz und
gar auf den anderen verläßt. Und tatsächlich ließ ich Nix nicht einfach fallen,
sondern legte ihn vorsichtig auf dem Boden ab und drückte ihn unter das Bett
des immer noch schlafenden Mannes, der wahrscheinlich doch kein Arbeiter war.
    Warum ich das tat? Vielleicht der Ordnung halber. Wie man ein Blatt
unter das andere schiebt. Schlafende und Tote haben eben eine gewisse
Gemeinsamkeit. – Na, was auch immer ich mir dachte, ich war in keiner Weise
geschockt ob meiner Handlung. So hatte ich es gelernt. Rasch sein, effektiv
sein. Und sich dabei nicht blutig machen. Und erst dann ins Grübeln kommen,
wenn Zeit dafür war.
    In diesem Moment aber galt nur eines: den Vogel finden. Was sich als
nicht weiter schwer erwies. Denn selbstverständlich war

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