Gewitter über Pluto: Roman
ist, so wenig sind
das auch Nachtclubs. Dennoch war ich froh, als ich â angezogen von einer
Leuchtreklame, einem spitzköpfigen rosa Drachen â vor einem Lokal ankam,
welches geöffnet hatte. Zwar bremste mich eine kleine Scheu, andererseits
wollte ich nicht ein weiteres Mal auffällig lange herumstehen. Folglich trat
ich ein, stieg eine schmale, mit braunem Velours ausgelegte Treppe abwärts und
gelangte in einen quadratischen, niedrigen Raum von vergnügter Schäbigkeit. Die
Luft war derart drückend, als habe sich die Schwüle des Nachmittags hier
herunter geflüchtet, um zu warten, bis sich die nächtliche Frische drauÃen
erledigt haben würde.
Ich stellte mich an die Bar, hinter der ein weiÃhaariger Mann stand,
der unpassenderweise einen Smoking trug. So wie er unpassenderweise
gleichzeitig steif und würdevoll und respektabel wirkte. Alte Schule. Kein
Mann, der hierher gehörte. Sehr viel passender war da die junge Frau, die sich
nur ein paar Sekunden später neben mich stellte und mir aus einem Mund, der
aussah wie eine kleine, rote Lederhose, ein »Na, Schatzi, gibst dâ an Schampus
aus?« entgegenhauchte. Wobei selbiger Hauch Spuren der Verwesung
transportierte. Verdorbenes und Verstorbenes. Ein bakterieller Nebel, in dem
die Worte wie Schwerverbrecher an Ketten hingen.
»Wenn ich eine Flasche bezahle«, fragte ich, »lassen Sie mich dann
in Ruhe?«
»Aber freilich, Schatzi. Wenns dâ zahlen tust, darfst dâ sogar
allein sein. Wenns dâ auf so was stehst.«
Sie gab dem Barkeeper ein Zeichen, schwang sich wieder vom Hocker
herunter, zischte eine süÃe Abfälligkeit zwischen den speckigen Lippen hervor
und bewegte sich zu ihren beiden Kolleginnen, die um einen kleinen, runden
Tisch saÃen, der wie ein flachgedrückter Globus anmutete, ein Globus für eine
Welt als Scheibe.
»Möchten der Herr ebenfalls ein Glas serviert bekommen?« fragte mich
der Barkeeper, der eine Flasche Sekt, die man hier als Champagner verkaufte,
bedächtig öffnete, ihr einen serviettenen Mantel umhängte und sie nicht weniger
bedächtig in einem silbernen Kübel abstellte.
»Nein danke«, sagte ich und bestellte einen Espresso.
Während ich auf den Kaffee wartete, sah ich mich um. Die drei
Grazien hatten die Köpfe zusammengesteckt und lachten in der Art von Erbsen.
Ich weià schon, Erbsen können nicht lachen, doch könnten sie es, dann⦠Ein weiterer Gast saà mit einer Frau in
einer Ecke. Sie schienen sich ganz normal zu unterhalten. Gut, warum auch
nicht? Das hier war ein Animierlokal und kein Swingerclub. An der Bar standen
noch zwei andere Männer, die aber wohl eher zum Ambiente gehörten.
Als ich jetzt zur anderen Seite hinsah, erblickte ich einen
einzelnen Mann. Ganz der Zuhältertyp. Er trug einen Anzug, der im
orangefarbenen Licht an das glänzende Auge eines Spiegeleis erinnerte. Seine
Hände waren tätowiert, ebenso der Hals, und man konnte sich gut vorstellen, daÃ
sein Gesicht der einzige undekorierte Bereich an ihm war. Doch immerhin war
dieses Gesicht von einer blonden Fönfrisur umrahmt. Dazu Goldkettchen, goldene
Uhr, weiÃe Schuhe â die Parodie als Wirklichkeit. Er rauchte still vor sich hin
und sah hinunter auf den Tisch. Beziehungsweise auf das Brett auf dem Tisch und
die Figuren auf dem Brett. Ein Schachspiel.
Ich erwartete, daà jeden Moment ein zweiter Spieler von der Toilette
zurückkam. Aber selbst nachdem ich meinen Espresso bekommen und eine ganze
Weile daran genippt hatte, tauchte niemand auf, der sich als Gegner anbot.
Ich mag Schach. Ich mochte es schon, als ich noch zu Hause auf X
war, wo sich das Schachspiel kaum von dem, wie es heute auf der Erde gespielt
wird, unterscheidet. Sieht man davon ab, daà unsere Damen nicht ganz soviel Macht besitzen. Das Schöne am Schach ist eigentlich die
Ausgangssituation. Daà man mit dem exakt gleichen Material antritt. Wo gibtâs
das im Leben? Kaum ist man auf der Welt, hat der eine seinen feinen Popo in
einem schicken Seidenhöschen von irgendeinem Luxuslabel, und der andere steckt in
einem abgetragenen Ding aus der Flohmarktkiste. Und dann gehtâs erst richtig
los. Im Schach hingegen⦠Dieser
wunderbare Anfang, wenn alle Figuren aufgestellt sind, allein durch die zwei
Farben (die bezeichnenderweise gar nicht richtige Farben sind) sich voneinander
abhebend, nicht aber mittels der Form.
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