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Gewitter über Pluto: Roman

Gewitter über Pluto: Roman

Titel: Gewitter über Pluto: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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Zähne ausbeißen. Aber wer wollte das tun? Wer wollte seine
Zähne in den Katholizismus schlagen, in diese Versteinerung einer blutenden
Wunde?
    Sicher auch Mohn und Stirling nicht. Der Grund, nach Eichstätt zu
fahren, war der, daß neben aller katholischen Pracht dieser Ort außerdem ein
Zentrum der Paläontologie war, was man den knöchernen Schätzen der hiesigen
Plattenkalke verdankte. Stirlings Vorgesetzter, welcher selbstverständlich über
die geplante Reise informiert worden war, hatte einst in Eichstätt ein
Studienjahr absolviert und kannte aus dieser Zeit einen Mann namens Rorschach,
Maximilian Rorschach, der sowohl als Paläontologe wie auch als Ehemann einer
berühmten Opernsängerin Furore gemacht hatte. Hauptkommissar Boris Spann, der –
wenn der Zweck es gebot – durchaus den Mund aufmachen konnte, hatte jenen
Freund aus alten Tagen telefonisch kontaktiert und ihn ohne große Umschweife
nach dem toten Nix gefragt. Auch Rorschach hatte jegliche Umschweife oder
Vorsichten gemieden und erklärt, Nix sogar recht gut gekannt zu haben.
Allerdings wäre ihm neu, daß dieser gestorben sei.
    Â»Ermordet, um das Unglück beim Namen zu nennen«, hatte Spann gesagt.
    Â»Das wundert mich gar nicht.«
    Â»Wieso?«
    Â»Nix war ein Verrückter. Ein großartiger Verrückter, aber eben eine
Zumutung für sein Umfeld.«
    Â»Augenscheinlich eine sehr große Zumutung«, hatte Spann gemeint und
erzählt, in welchem Zustand Nix aufgefunden worden war.
    Â»Das ist nicht sehr schön«, war Rorschachs Kommentar gewesen.
    Â»Wäre es denn möglich«, hatte sich Spann erkundigt, »wenn morgen
mein Assistent bei dir vorbeischaut? Wir haben so gar kein Bild von diesem Nix.
Vielleicht könntest du uns in dem Punkt ein bißchen helfen. Außer du findest,
das sei eine Zumutung.«
    Â»Solange du mich nicht verdächtigst, alter Polizist.«
    Â»Um ehrlich zu sein, alter Leichenschänder, ich verdächtige das
Gras, daß es wächst.«
    Â»Hauptsache, du kommst nicht selbst her und weist mir einen Mord
nach, den ich gar nicht begangen habe. Dir trau ich so was zu. Du bist eine
Figur wie aus einem Dürrenmatt-Roman. Ein Glück, daß diese Figuren langsam
aussterben.«
    Â»Ja, das ist wahr«, hatte Spann gesagt. »Die Welt verliert ihre
dürrenmattschen Figuren. Es gibt fast nur mehr Polizisten, die entweder wie
Kleinkriminelle oder wie Börsenmakler daherkommen.«
    Spann und Rorschach hatten eine Weile in dieser Art herumgealbert,
den Ernst und den Spaß zu einer Maschenreihe verwebend, um dann doch noch das
Wesentliche zu besprechen. Rorschach erklärte sich bereit, Stirling und dessen
Begleiter Lorenz Mohn zu empfangen und ihnen von Fabian Nix zu erzählen.
    Und darum also waren die beiden schönen Männer in Eichstätt
gelandet.
    Man traf sich in einem gemütlichen kleinen Restaurant,
welches so früh am Abend fast leer war. Rorschach erwies sich als ein vornehmer
Mensch um die Sechzig. Trotz der Hitze des Tages trug er Anzug und Krawatte. Er
hatte eine gute Flasche Weißwein bestellt, ohne sich jedoch in der bekannt
peinlichen Weise als Weinkenner aufzuspielen. Er erinnerte an den alternden
Richard Burton. Es war etwas Kaltes an ihm, aber etwas warmes Kaltes. Seine
Traurigkeit, seine Gebrochenheit, dieser alkoholisch-depressive Zug, das alles
wirkte kunstvoll und diszipliniert. Hier saß ein Mann, der sein Unglück gewollt
hatte, es auf dem Rücken trug – und fast gar nicht damit angab.
    Stirling legte die Karte mit dem Archaeopteryx vor Rorschach auf den
Tisch.
    Â»Und?« fragte Rorschach, ohne die Karte zu berühren.
    Â»Auf der Rückseite steht etwas geschrieben.«
    Rorschach nahm die Karte, drehte sie um und las laut: »Keine Angst
vor toten Tieren. – Na, wer das geschrieben hat, kennt sich entweder nicht aus
oder ist ein Zyniker. Tote Tiere – und hier sind ja wohl sehr alte tote Tiere
gemeint – neigen dazu, mehr Fragen aufzuwerfen als zu beantworten.
Paläontologen sind arme Schweine, fast so arm wie die Astrophysiker. Absolut
labyrinthische Wissenschaften. Kaum taucht man ein, ist man auch schon
verloren. Darum ist es nur verständlich, daß wir gerne so tun, als hätten wir
den Überblick. Die moderne Technik hilft uns bei dieser Lüge. Computermodelle,
neue Analyseverfahren, Hochrechnungen in die Vergangenheit, nicht zuletzt die

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