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Gewitter über Pluto: Roman

Gewitter über Pluto: Roman

Titel: Gewitter über Pluto: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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und nicht als Leute, die in den
Passagierräumen klobiger Jets ihre Beine ausstrecken und den banalen Service
einer ersten Klasse als Kulminationspunkt der Zivilisation ansehen.
    So war es also auch in einem quasi religiösen Sinn naheliegend, daß
die beiden Männer nach ihrer kleinen Wanderung durch die Zeiten und Welten
erneut vor dem Archaeopteryx stehenblieben, der von einer kunstvoll drapierten
samtenen Unterlage aufragte.
    Â»Ich wundere mich«, sagte Stirling, »daß Sie unserem toten Nix, als
er noch nicht tot war, niemals begegnet sind. Der Mann hatte Sie ja
offensichtlich im Visier. Er hat Sie bedroht, hat davon gesprochen, Ihnen weiß
Gott was anzutun, wenn Sie nicht die Hände von Sera Bilten lassen.«
    Â»Ich glaube doch eher, daß es Nix um den Laden ging. Immerhin hatte
er da seine Werkstatt.«
    Â»Mir kommt vor, als wollten Sie einem Gespräch über Ihre neue
Freundin ausweichen.«
    Â»Keineswegs. Aber ich wüßte nicht, was sie mit der Sache zu tun
hat.«
    Â»Na ja«, sagte Stirling, so wie man sagt: Im Herbst hört der Sommer
langsam auf. Um gleich darauf anzufügen: »Immerhin war Sera Bilten einmal mit
diesem Nix verheiratet.«
    Â»Bitte?« Lorenz Mohn faßte unwillkürlich Stirlings Arm.
    Was sich dieser einen Moment gefallen ließ, sodann sachte die fremde
Hand und den auf eine verzweifelte Weise festen Griff von seinem Arm strich und
meinte: »Aha, wie es scheint, wußten Sie das nicht.«
    Â»Nein…nein, ich hatte keine Ahnung.«
    Â»Sie muß sehr jung gewesen sein. Die Wohnung, in der sie jetzt lebt,
gehörte einmal Nix. Es war eine kurze Ehe, die Scheidung ging ohne großen Krach
über die Bühne, allerdings heißt es, Nix hätte darunter gelitten. Ich denke, er
hat diese Frau wirklich geliebt.«
    Â»Ich bin der erste, der das verstehen kann«, meinte Lorenz. »Ich
begreife nur nicht, warum mir Sera davon nichts erzählt hat.«
    Â»Ja, das sollte man herausfinden.«
    Â»Haben Sie mit Sera darüber gesprochen?«
    Â»Das habe ich. Kurz nur. Aber da war leider nichts, was sie mir
sagen konnte oder wollte. Ich weiß nicht, wie man diese Frau einschätzen soll.
Jedenfalls spielt sie ganz sicher nicht mit offenen Karten.«
    Â»So sieht es aus«, meinte Lorenz mit einer Stimme so voll von
Bitterkeit, als würde er an jeden Buchstaben ein Beatmungsgerät anfügen.
    Â»Kommen Sie, gehen wir«, sagte Stirling. »Die Luft wird uns guttun.«
    Nun, die Luft half nicht direkt. Es war heißer als zuvor.
Die beiden Männer setzten sich auf eine Bank, die im Schatten lag. Ein
Schatten, in dem wenigstens ein bißchen von der Kühle des nahen Waldes lagerte.
Kühle in der Art eines Zwischenrufs.
    Â»Zigarette?« fragte Stirling und hielt Lorenz seine Packung hin.
    Â»Kann nicht schaden«, sagte Lorenz und zog eine heraus. Er fühlte
sich miserabel. Auf eine zynische Weise war ihm nach Lungenkrebs zumute. Er
rauchte die Zigarette so, als könnte man sich mit einer einzigen davon
umbringen. Stirling merkte das. Er hätte gerne gesagt, daß es wirklich nichts
zu bedeuten brauchte, wenn Sera diese Ehe unerwähnt gelassen hatte. Aber das
stimmte nun mal nicht. Spätestens nachdem Nix ermordet worden war – man
bedenke: da liegt der tote Ex genau unter dem lebenden Liebhaber!–, hätte Sera davon erzählen müssen. Ihr
Schweigen mußte etwas bedeuten. Und beide Männer befürchteten, daß es nichts
Gutes war.
    Nachdem sie ausgeraucht hatten, stiegen sie in den Wagen und
verließen den Ort, ohne sich mehr als den Vogel und das Museum angesehen zu
haben. Sie fuhren hinüber nach Eichstätt, jenem Ort, welcher gewissermaßen aus
dem Jurameer hochgestiegen war, um dem deutschen Katholizismus als
Ausbildungsstätte und als eine Art Bühnenbild repräsentativer Glaubenslehre zu
dienen. Wenn man hierherkam und durch das barocke Stadtzentrum schlenderte,
wähnte man sich selbst als kleiner Bischof, verspürte zumindest ein
theologisches Empfinden, einen klerikalen Muskel. Gelegen war dieser Ort im
Altmühltal, das nun ganz sicher eins der lieblichsten Täler ist, das sich
denken läßt. Auch trotz der Felsen, die an mancher Stelle wuchtig aus den
Hügeln treten und ihrerseits eine bischofsartige Präsenz besitzen, etwas
Unverwüstliches und Unbelehrbares. Ja, diese Felsen sind katholisch. Man kann
sich an ihnen die

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