Gewitter über Pluto: Roman
durch
Abstände voneinander getrennt sind. Andererseits ⦠es schaut so aus, als liege
ein Teil dieser Struktur noch im Inneren des Steins. Man müÃte also versuchen,
sie ganz freizulegen. Nicht zuletzt, um sichergehen zu können, daà wir es hier
nicht etwa mit einer kleinen, äuÃerst engagierten Steinmetzarbeit zu tun haben,
nicht wahr? Kunst am Stein.«
»Genau darum würde ich Sie gerne bitten: das herauszufinden. Und für
den Fall, daà es sich nicht um moderne Kunst handelt,
sagen Sie mir dann bitte, wie alt das Stück ist.«
»Hat das irgendwas mit der Ermordung dieses armen Mannes zu tun?«
»Das wird noch festzustellen sein«, sprach Stirling.
Rorschach hob den Stein vorsichtig in die Höhe, als versuche er, ein
Küken in den Schlaf zu wiegen. In seinem Blick lag eine Mischung aus Skepsis
und Vorfreude. Nicht nur, daà er sich im unklaren darüber war, was das Ding
darstellte, fragte er sich zusätzlich, ob es besser wäre, bloà eine Fälschung
aufzudecken. Oder aber das Gegenteil. Doch worin genau würde das Gegenteil
bestehen?
Rorschach hob den Kopf an. »Darf ich einen Vorschlag machen? Kommen
Sie doch mit mir mit. Meine Frau gibt heute abend einen Liederabend. Drüben im
Bischöflichen Palais.«
»Ich dachte, sie tritt nicht mehr auf«, bewies jetzt auch Lorenz
seinen guten Informationsstand. Er liebte klassische Musik (wie
erstaunlicherweise auffallend viele Leute aus dem Pornogeschäft), und darum war
ihm Rorschachs Frau ein Begriff. Er besaà sogar mehrere Aufnahmen von Mai Hillsand,
deren Sopranstimme die Kritiker gerne eine magische Qualität zusprachen.
Zugesprochen hatten, um genau zu sein. Denn vor einigen Jahren hatte sich
Hillsand mit der Plötzlichkeit eines Sekundentods aus dem Konzertbetrieb
zurückgezogen. Ohne ein Wort an ihre Fans. Geradezu bösartig. Und rasch war es
still um sie geworden, was aber wohl ganz in ihrem Sinne gewesen war. Dieses
Hinaussterben aus dem Wahnsinn der Hochkultur, der Gigantomanie gesprochener
oder gesungener Worte.
Mai Hillsand entstammte der Ehe eines deutschen Unternehmers mit
einer Japanerin, die als Dolmetscherin in die Bundesrepublik gekommen war.
Hillsand war also der Name des Vaters, während der Vorname Mai die japanische
Wurzel verriet, gleichzeitig aber auch in deutschen Ohren einen vertrauten
Klang besaÃ. Mai Hillsand hatte spät zu singen begonnen und im Alter von
fünfundvierzig wieder damit aufgehört. Das hatte genügt, um einigen der groÃen
Gesangsrollen in einer unverwechselbaren Weise Gestalt zu verleihen. Die
Kritiker hatten sich gerne damit beholfen, die beinahe statische Präsenz dieser
Sängerin mit ihrem östlichen Hintergrund in Verbindung zu bringen. Man könnte
jedoch ebenso sagen, daà Hillsand schlichterweise darauf verzichtet hatte, wie
ein verrücktes Huhn über die Bühne zu springen, ohne darum den Stil
riesenhafter Walküren zu pflegen, die in Inbrunst dahinschmelzen, jedoch leider
nicht an Masse verlieren. Nein, sie hatte ihre Rollen zu einer präzisen Geste
verdichtet. Vielleicht war das japanisch, konnte aber genausogut ein Hinweis
auf die kaufmännische Geradlinigkeit des Vaters sein. Wenn man schon unbedingt
die Gene ins Spiel bringen muÃte.
Warum die berühmte und schöne Mai ausgerechnet einen zwölf Jahre
älteren Paläontologen geheiratet hatte â der ja nur dem Wesen, nicht dem
Aussehen nach an Richard Burton erinnerte â, blieb ein Rätsel. Rorschach galt
in Gesellschaftskreisen als Langeweiler, als ein Mann, der mit Knochen spielte,
was im Grunde weder Künstler noch Politiker interessiert. Die Begeisterung für
Saurier besteht sehr viel mehr bei den sogenannten kleinen Menschen als bei den
adulten Eliten. Jeder Sechsjährige kann heute einen Allosaurus von einem T-Rex
unterscheiden. Im deutschen Bundestag dagegen â¦
Aber geheiratet hatten sie eben doch. Zur Bestürzung einer ganzen
Menge Verehrer.
Ja, es stimmte, Mai Hillsand hatte aufgehört, die Konzert-
und Opernhäuser zu bereisen. Und ebenso damit aufgehört, ihre Stimme auf dünne
Tonträger pressen zu lassen. Kaum jemand wuÃte, was sie eigentlich tat, in
ihrem Haus nahe Eichstätt.
Rorschach berichtete nun, daà zur Zeit ein gewisser Kardinal in der
Stadt zu Besuch sei, ein Verehrer der Kunst seiner Frau, dessen gröÃter und
sehnlichster Wunsch es sei, Mai Hillsand
Weitere Kostenlose Bücher