Gewitter über Pluto: Roman
noch einmal singen zu hören.
»Meine Frau«, sagte Rorschach, »hat ein absolutes Faible für
Kardinäle. Was ich verstehen kann. Wenn man eine solche Stimme hat wie sie,
gibt es wenig, wohin man aufschauen kann. Eigentlich nur zum lieben Gott.«
»Ein Kardinal ist nicht der liebe Gott«, meinte Stirling humorlos.
»Aber ein Partikel davon. So kann man es sehen. Jedenfalls hat sich
Mai überreden lassen, heute einen kleinen Liederabend zu geben.«
»Das ist doch ganz sicher eine geschlossene Gesellschaft«, vermutete
Lorenz.
»Richtig. Aber ich kann Sie mitnehmen. Ich bin zwar nur der Ehemann,
doch man kennt mich. Man weiÃ, daà ich keine Kardinalsmörder zum Konzert meiner
Frau mitbringe. Nein, begleiten Sie mich, wenn es Sie nicht stört, hinten zu
stehen.«
Lorenz erklärte, daà er, um Mai Hillsand zu hören, gerne auch auf
dem Kopf stehen würde.
»Stimmt, es gibt Leute«, bestätigte Rorschach, »die täten sich die
Augen ausstechen lassen. Klassische Musik ist immer Fanatismus. In Ordnung, so
soll es sein. â Nach dem Konzert lassen wir meine Frau bei ihrem Kardinal, und
ich bringe Sie beide in unser Haus, wo Sie übernachten können. Wir leben
sozusagen im Wald. Dort habe ich auch mein Labor. Sobald Sie versorgt sind,
werde ich darangehen, mir diesen Stein hier genau anzusehen. Morgen früh wissen
wir mehr. Einverstanden?«
»Wunderbar«, sagte Stirling.
Lorenz freilich hätte sich gerne erkundigt, ob Mai Hillsand
nachkommen würde oder ob sie in Eichstätt blieb. Aber er sagte nichts.
Man redete noch ein wenig über Wien, welches Maximilian Rorschach in
einer für seinen Stand und seine Position erstaunlichen Heftigkeit als einen
»von Hunden aller Art zugeschissenen Ort« bezeichnete.
»Waren Sie oft da?« fragte Stirling.
»Viel zu oft. Wegen meiner Frau, versteht sich. Es heiÃt ja, die
Musik sei in Wien zu Hause. Das würde dann allerdings bedeuten, daà die Musik
ein biÃchen pervers ist.«
Man lachte. Auch Rorschach, obgleich er sehr ernst meinte, was er
sagte. Denn man kann sich ja wohl kaum einen unernsten Richard Burton
vorstellen, oder?
In dem kleinen Saal herrschte eine Atmosphäre der Spannung
und des Auserwähltseins. Jeder hier, vielleicht von Stirling und natürlich
Rorschach abgesehen, empfand den privathistorischen Moment, der sich daraus
ergab, daà an diesem Abend eine Sängerin singen würde, die ja gar nicht mehr
sang, sondern mit groÃer, geradezu menschenverachtender Konsequenz dem
Konzertbetrieb den Rücken zugewandt hatte. Und die nun also dem Kardinal ihr
Ständchen brachte. Die anderen Zuhörer, Begleiter Seiner Eminenz, zwei, drei
Bischöfe, wie man sagt zwei, drei Auswechselspieler, Theologen der Universität,
der Bürgermeister und weitere Leute, die eine gewisse Bedeutung in dieser
Gegend spielten, erfüllten die simple Funktion, Publikum zu sein, weil es
einfach nicht schicklich gewesen wäre, hätte Mai Hillsand ganz alleine für den
Kardinal gesungen. Wozu sie freilich sofort bereit gewesen wäre. Ihre
Begeisterung für die katholische Kirche und ihre höchsten Würdenträger
verdiente ein Wort: unerschrocken.
Und diese unerschrockene Katholikin trat nun unter einem respektvoll
dosierten Applaus auf die kleine Bühne, auf der das Klavier stand. Mit ihr der
Pianist, ein junger Mensch, der sein Glück nicht fassen konnte. Aber das war
nicht neu. Mai hatte sich auch früher schon für ihre Liederabende stets
unbekannte, eher unerfahrene Pianisten ausgesucht. Und dies nicht einmal
begründet, also nicht über den aufdringlichen Stil altbewährter
Klavierbegleiter lamentiert. Mais diesbezügliches Schweigen war ihr oft als
Vornehmheit ausgelegt worden. Was ebenso stimmte, wie es falsch war.
Sie brauchte bloà ihren Finger zu heben, augenblicklich unterbrach
das Publikum die Ovation. Da stand sie: die perfekte Frau. Wenn es die nämlich
gibt, dann gab es sie hier. Hier und jetzt und absolut, und vielleicht sogar
von Gottes Gnaden. Weil Perfektion nun aber schwer zu definieren ist,
gleichwohl jedoch besteht, könnte man sagen, Mai Hillsand war eine 8, eine
Schleife ihrer selbst, welche umgelegt das Zeichen für Ewigkeit ergab.
Ein eher weltlicher Aspekt ihrer Schönheit war hingegen die
physiognomische Verbindung von Abendland und Fernem Osten. Der Umstand nämlich,
daà alles, was ein
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