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Gewitterstille

Gewitterstille

Titel: Gewitterstille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Gladow
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verschwunden war. Als sie das Haus ihrer Mutter erstmals in einer deutschen Zeitung gesehen hatte, war es gewesen, als hätte man Tausende von Giftpfeilen in ihr Herz gestoßen. Beate war ganz offenbar eine wohlhabende Frau und hätte sowohl die Möglichkeit als auch die Mittel gehabt, Sophie als Kind wenigstens in den Ferien zu sich zu nehmen. Dennoch hatte sie es ganz offenbar vorgezogen, sich als tot ausgeben zu lassen, und das, obwohl sie nach allem, was in den Zeitungen zu lesen war, mit einem gut situierten Kaufmann und Gastronom verheiratet war. Als Sophie nach dem Tod ihres Vaters durch das Jugendamt die ernüchternde Wahrheit erfahren hatte, keine Vollwaise zu sein, hatte sie jeden Kontakt zu ihrer Mutter abgelehnt. Die Briefe, die Beate ihr geschrieben hatte, hatte sie ungelesen verbrannt. Sophie war von beiden Elternteilen ein Leben lang betrogen worden. Von ihrem Vater, weil er ihr die Wahrheit über ihre Mutter vorenthalten, und von ihrer Mutter, weil sie sie verlassen hatte.
    Sophies Wunsch, sich jemandem mitzuteilen, war in diesem Moment so übermächtig, dass sie ohne zu zögern nach ihrem Handy griff, es einschaltete und die Nummer ihrer Freundin Janina wählte. Diese meldete sich schon beim zweiten Klingelton.
    »Sophie!?«, schrie sie in den Apparat, als sie Sophies Nummer auf dem Display erkannte.
    »Ja, hallo«, hauchte Sophie zurück und war so überwältigt, die Stimme der Freundin zu hören, dass sie unmittelbar in Tränen ausbrach.
    »Sophie, mein Gott, wo bist du, geht es dir gut?«, fragte Janina, deren Stimme sich fast überschlug. »Ich bin so froh, dass du lebst. Ich habe gedacht, du bist tot! Alle denken, du bist tot!«
    »Es ist alles schiefgegangen«, schluchzte Sophie. »Ich wollte nicht, dass ihr glaubt, dass ich tot bin. Ich durfte euch nur nichts sagen.«
    Am anderen Ende wurde es für einen Moment lang still.
    »Was hat er dir angetan? Bist du entführt worden?«
    »Nein, natürlich nicht!« Erst jetzt merkte Sophie, wie missverständlich ihre Äußerung war.
    »Ich bin freiwillig hier. Jens ist kein Mörder.« Sophie erzählte Janina unter Tränen von ihrer Flucht.
    »Jens wollte überhaupt nicht, dass ich mit ihm gehe, weil es viel zu gefährlich für uns war.«
    »Aber warum bist du denn bloß mitgegangen?«
    »Weil die Polizei kam und mein Rollstuhl verschwunden ist und …«
    »Ich verstehe überhaupt nichts. Wie kann denn ein Rollstuhl verschwinden?«
    »Jens und ich hatten in Lübeck ein Versteck auf einem Boot. Ich konnte tagsüber unmöglich mit meinem Rollstuhl an das Schiff heranfahren, als ich das Geld geholt hatte. Jens wollte auch nicht, dass wir Aufmerksamkeit erregen und irgendwann herauskommt, dass wir ein Paar sind. Nachdem ich in der Bank war, hat Jens mich in einer Nebenstraße aufgegabelt. Am Hafen hat er dann geparkt und mich mit einer Buddel Champagner in der Hand aufs Boot getragen, als ob wir unseren Honeymoon feiern wollten und ich betrunken wäre.«
    »Aber dann war der Rollstuhl doch im Auto?«
    »Ja, aber vom Auto zum Boot war es ganz schön weit. Nachts hat Jens den Rollstuhl dann an das Boot herangefahren, weil er so viele Sachen mitzunehmen hatte. Er wollte mich zu Hause absetzen und dann aufbrechen. Er hat nicht gedacht, dass uns auch nachts jemand beobachtet.«
    »Ja und?«
    »Als ich im Auto saß und Jens gerade den Rollstuhl einladen wollte, haben wir plötzlich Polizeisirenen gehört. Jens hat total überreagiert. Er ist ins Auto gesprungen und einfach losgejagt, weil er dachte, die wären hinter uns her.«
    »Und warum hat er dich nicht nach Hause gebracht?«
    »Wir dachten, die warten da schon auf uns. Was hätten wir denn machen sollen?«
    Sophies Freundin antwortete nicht.
    »Wie hätte ich denn Anna erklären sollen, dass mein Rollstuhl weg ist?«
    »Und deshalb bist du mit diesem Typen abgehauen?«
    »Es ging alles blitzschnell. Ich hätte es nicht ertragen, täglich von Anna gelöchert zu werden, verstehst du? – Janina, er liebt mich.«
    Das Schweigen am anderen Ende der Leitung schmerzte Sophie. Wie sollte ihre Freundin auch verstehen, was sie empfand? In der Presse wurde Jens als Ungeheuer dargestellt. Für Janina musste es völlig verrückt erscheinen, dass Sophie mit ihm auf der Flucht war.
    »Wir haben uns alle tierische Sorgen um dich gemacht. Ich hab echt geheult – weißt du das eigentlich?«
    Sophie kam nicht dazu, Janinas Frage zu beantworten. Sie war viel zu schockiert, dass Jens plötzlich in der Tür des Apartments stand

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