Gezaehmt im Bett einer Lady
anstarrt. Sie haben genau drei Sekunden, aus dem Weg zu gehen. Eins, zwei...“
Er wich zurück, und sie marschierte an ihm vorbei in das Vestibül. „Holen Sie meinen Bruder“, verlangte sie.
Er starrte sie mit einer Mischung aus Verblüffung und Unglauben an. „Miss ... Miss ...“
„Trent“, sagte sie. „Sir Bertrams Schwester. Ich will ihn sehen. Jetzt. “ Sie klopfte mit der Spitze ihres Regenschirms auf den Marmorboden, um ihrer Aufforderung Nachdruck zu verleihen.
Jessica hatte sich auf einen Ton und ein Auftreten verlegt, das sie sehr wirkungsvoll dabei fand, mit ungezogenen Jungen fertigzuwerden, die größer waren als sie, und denjenigen aus der Dienerschaft ihrer Onkel und Tanten, die sich durch unsinnige Bemerkungen wie „Das wird dem Herrn aber gar nicht gefallen“ oder „Die Herrin sagt, das soll ich nicht“ vor Arbeit zu drücken versuchten. Der Ton und das Auftreten waren derart, dass der Zuhörer sich sicher sein konnte, es gäbe nur zwei Wahlmöglichkeiten: Gehorsam oder Tod. Es erwies sich auch in diesem Fall als nicht minder effektiv als in den meisten anderen.
Der Lakai sandte einen panischen Blick zur Treppe am Ende der Eingangshalle. „Ich ... das kann ich nicht, Miss“, sagte er mit ängstlicher Stimme. „Er ... er wird mich töten. Keine Störungen. Gar keine, Miss. Niemals.“
„Verstehe“, sagte sie. „Sie sind mutig genug, einen Portier, der nur halb so groß ist wie Sie, auf die Straße zu werfen, aber Sie ...“ Ein Schuss fiel.
„Bertie!“, schrie Jessica. Sie ließ ihren Regenschirm fallen und lief zur Treppe.
Gewöhnlich hätte ein Pistolenschuss, selbst wenn auf ihn, wie es hier der Fall war, Frauenkreischen folgte, Jessica nicht in Panik versetzt. Das Problem war jedoch, dass ihr Bruder in der Nähe war. Wenn Bertie sich in der Nähe einer Grube befand, würde er unweigerlich hineinstürzen. Wenn er sich in der Nähe eines offenen Fensters aufhielt, würde er unweigerlich hinausfallen.
Daraus folgte, dass, wenn Bertie in der Nähe der abgeschossenen Kugel war, man sich darauf verlassen konnte, dass er hineinlief.
Jessica wusste es besser, als darauf zu hoffen, dass er nicht getroffen war. Sie hoffte nur, dass sie die Blutung würde stillen können.
Sie lief die lange Treppe hinauf und über den Flur, hielt genau auf die Stelle zu, von wo die Schreie - weiblich - und die betrunkenen Rufe - männlich - erklangen.
Sie stieß die Tür auf.
Das Erste, was sie sah, war ihr Bruder, wie er mit dem Gesicht nach unten auf dem Teppich lag.
Einen Moment lang war das alles, was sie sah. Sie eilte zu ihm. Gerade als sie sich hinkniete, um ihn zu untersuchen, weitete sich Berties Brustkasten, und er stieß ein lautes Schnarchen aus - ein lautes, nach Wein riechendes Schnarchen, das bewirkte, dass sie sich augenblicklich wieder aufrichtete.
Dann bemerkte sie, dass es im Raum so still wie in einer Grabkammer war.
Jessica schaute sich um.
Auf verschiedenen Stühlen, Sofas und Tischen verteilt lümmelte ungefähr ein Dutzend Männer in unterschiedlichen Stadien der Entkleidung. Manche hatte sie nie zuvor gesehen. Manche - Vawtry, Sellowby, Goodridge - erkannte sie wieder. Bei ihnen waren einige Frauen, alle Vertreterinnen einer uralten Zunft.
Dann fiel ihr Blick auf Dain. Er saß auf einem gewaltigen Stuhl, eine Pistole in der Hand und zwei vollbusige Dirnen - die eine blond, die andere dunkelhaarig - auf seinem Schoß. Sie starrten sie an und schienen wie alle anderen in derselben Stellung festgefroren, in der sie sich befunden hatten, als sie durch die Tür gestürzt war. Die dunkelhaarige Frau war offenbar gerade damit beschäftigt gewesen, Dain das Hemd aus dem Hosenbund zu ziehen, während die andere ihr dabei behilflich gewesen war, indem sie begonnen hatte, Dains Hosen aufzuknöpfen.
Umgeben zu sein von einer Reihe halb bekleideter betrunkener Männer und Frauen im Vorstadium einer Orgie bereitete Jessica kein sonderliches Unbehagen. Sie hatte kleine Jungen nackt herumrennen sehen - in voller Absicht, um den weiblichen Teil des Haushalts zum Schreien zu bringen -, und sie war mehr als ein Mal in den Genuss des Anblicks eines nackten Hinterns von älteren Jungen gekommen, denn das war oft genug bei ihren Cousins die Vorstellung einer geistreichen Antwort.
Sie war nicht im Geringsten beunruhigt oder empört wegen ihrer gegenwärtigen Umgebung. Selbst die Pistole in Dains Hand machte ihr keine Sorgen, da sie bereits abgefeuert war und erst wieder geladen
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