Gezähmt von sanfter Hand
hätte und schließlich hier vor dem Gutshaus gelandet wäre. Kutscher, Vorreiter, Pferdeknechte und Dienstmädchen eilten hin und her, öffneten Kutschenverschläge, klappten Trittbretter herunter und zogen an den Lederriemen, mit denen Taschen, Kisten und Schrankkoffer auf den Dächern der Kutschen festgeschnallt waren. Ein hoch gewachsener, ausnehmend eleganter Gentleman entstieg gerade der zweiten Kutsche; er schaute sich rasch einmal in dem von Menschen wimmelnden Hof um – wobei sein Blick auf Catriona fiel und für einen Moment dort verweilte, bevor er wieder zu der chaotischen Szene um die erste Kutsche herum zurückschweifte. Trotz seines etwas helleren Teints und des helleren Haares – es war braun, nicht schwarz – war Catriona sich sicher, dass es sich bei dem Gentleman um ein weiteres Mitglied des Cynster-Clans handelte.
Genauso, wie sie davon überzeugt war, dass die kleine, zierliche Dame mit dem dunklen, von silbernen Strähnen durchzogenen Haar, der er gerade aus der ersten Kutsche half, die Herzoginwitwe von St. Ives war – Helena, Richards Stiefmutter. Mit der brüsken Energie eines Wirbelwinds winkte die Herzoginwitwe den eleganten Gentleman wieder zu seiner eigenen Kutsche hinüber, wo schon eine zweite Dame auf seine Hilfe beim Aussteigen wartete. Hinter der Herzoginwitwe drängten sich gerade zwei junge Damen, aus deren halb herabgerutschten Kapuzen eine ungeheure Fülle goldener Locken hervorquoll, vergnügt kichernd aus der ersten Kutsche. Mit einer energischen Geste den Arm eines ihrer Diener ergreifend, wandte sich die Herzoginwitwe zur Vorderveranda des Gutshauses um und strebte schnurstracks darauf zu, ihr Umhang um sie herumflatternd.
Sie kam mit der Dynamik eines militärischen Sturmtrupps die Vordertreppe herauf. »Meine Liebe!«
Catriona hatte nur gerade noch Zeit, sich innerlich zu wappnen; die Arme weit ausbreitend, schloss die Herzoginwitwe sie in eine herzliche Umarmung.
»So, und jetzt kannst du mir sagen, dass es ihm schon wieder besser geht – es geht ihm doch wieder besser, nicht wahr? Aber natürlich ist es so! Sonst würdest du nicht so ruhig hier stehen, um eine geschwätzige alte Frau zu begrüßen!« Mit einem verschmitzten Zwinkern ihrer grünen Augen umarmte die Herzoginwitwe Catriona gleich noch einmal, dann ließ sie sie los, hielt sie mit beiden Händen auf Armeslänge von sich ab, trat einen Schritt zurück und musterte sie mit scharfem, unverhohlen anerkennendem Blick einmal von oben bis unten.
»O ja!« Als sie wieder aufschaute, fing die Herzoginwitwe Catrionas Blick auf. »Du wirst ihm sehr gut tun, denke ich.« Sie lächelte strahlend. »Und du wirst ihn nicht im Stich lassen – du wirst immer für ihn da sein, ja?« Ihrer beider Blicke trafen sich und hielten einander für einen kurzen Moment fest, dann strahlte die Herzoginwitwe. Mit französischem Überschwang küsste sie Catriona auf beide Wangen. »Willkommen in der Familie, meine Liebe!«
Die aufrichtige Zuneigung, die aus den Augen der Herzoginwitwe leuchtete, ging Catriona sehr zu Herzen; sie spürte, wie ihre Augen prompt feucht wurden, und blinzelte hastig. »Danke, Ma'am.«
»Helena«, korrigierte die Herzoginwitwe sie energisch. »Für die Ehefrauen meiner beiden Söhne bin ich Helena. Aber sag mal – Devil und Honoria sind doch inzwischen hier eingetroffen, oder? Und wie geht es Richard – isst er? Ist er schon aufgestanden? Hat er …«
»Tante Helena, ich fürchte, die arme Catriona bekommt durch dich noch einen sehr seltsamen Eindruck von der Familie.«
Catriona wandte sich überrascht um und erblickte den eleganten Gentleman von vorhin, jetzt mit einer anmutigen Dame am Arm. Beide lächelten Catriona herzlich zu; er verbeugte sich vor ihr. »Vane Cynster, meine Liebe – und ich versichere dir, wir quasseln nicht alle so pausenlos und ohne Punkt und Komma.«
»Ich ›quassle‹ nicht«, erwiderte Helena resolut, »ich mache lediglich von dem Recht einer jeden Mutter Gebrauch, sich nach dem Gesundheitszustand ihres Sohnes zu erkundigen.«
»Aber er wird doch wohl nicht sterben, oder?« Diese Frage kam von einer der beiden blonden Schönheiten, die jetzt hinter der Herzoginwitwe auftauchten.
»Doch wohl nicht Richard?« Die zweite junge Dame fixierte Catriona mit riesigen blauen Augen. »Aber du bist Heilerin, nicht wahr? Du würdest ihn auf jeden Fall retten.«
In dieser letzten Bemerkung, mit einem bekräftigenden Kopfnicken vorgebracht, schwang ein Unterton absoluter
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