Gezähmt von sanfter Hand
Herausforderungen. Herausforderungen, bei denen es mehr als nur der Abgeschiedenheit des Tales bedurfte, um ihnen gewachsen zu sein.
Catriona hob eine Hand an ihre Brust, tastete nach dem Anhänger, der dort baumelte – das Vermächtnis von Richards Mutter. Durch ihre Heirat war nun eine Familienlinie, die noch älter war als ihre eigene, in ihr Tal gekommen; und ihr Kind – ihre erste Tochter – würde dann die Erste einer neuen Linie sein, einer noch größeren Linie, entsprungen aus der Verschmelzung dieser beiden Geschlechter.
Sie würde die Erste einer neuen Familie sein.
Catriona lag ganz still da und ließ sich diesen Gedanken durch den Kopf gehen, während hinter den Fenstern die Sonne aufging. Als die Morgenröte sich über das Land ergoss, stahl sie sich aus Richards Armen und ließ ihn sanft schnarchend weiterschlafen.
Noch immer dachte Catriona an ihre Entdeckungen, als sie sich, später am Morgen, wieder in die Destillationskammer zurückzog.
Schon etwa eine Stunde hatte sie sich darin aufgehalten, als die Tür geöffnet wurde und zwei strahlende Gesichter hereinschauten.
»Dürfen wir dich kurz um etwas bitten?«
Lächelnd winkte Catriona die Zwillinge zu den Stühlen herüber, die vor dem Tisch standen, an dem sie gerade arbeitete. »Wie kann ich euch behilflich sein?«
»Wir haben da diese ganz wichtige Frage«, erklärte Amanda, während sie nervös auf ihrem Stuhl hin und her rutschte.
»Wir wüssten gern, wonach wir bei einem Ehemann Ausschau halten sollten«, sagte Amelia.
Catriona riss erstaunt die Augen auf. »Das ist aber eine sehr gewichtige Frage.«
»Aber da du eine Heilerin bist, dachten wir, dass du uns da vielleicht einen Rat geben könntest.«
»Im Augenblick besuchen wir viele Bälle – du weißt schon, damit alle geeigneten Ehemänner einmal einen Blick auf uns werfen und sehen können, ob wir zu ihnen passen.«
»Aber wir sind zu der Erkenntnis gekommen, dass das keine sehr gute Idee ist.«
»Nein. Wir müssen nämlich herausfinden, ob sie zu uns passen.«
Catriona konnte nicht aufhören zu lächeln.
»Was bedeutet«, erklärte Amanda ganz unerschrocken, »dass wir erst einmal festlegen müssen, wonach wir eigentlich Ausschau halten.«
Catriona nickte. »Ich verstehe, was ihr meint – ich muss gestehen, ihr geht die ganze Sache sehr sachlich und klar denkend an.«
»Wir sind zu dem Ergebnis gekommen, dass das der einzige Weg ist, wie man dieses Thema angehen kann – und darum sind wir auch hierher gekommen, um einmal mit dir zu sprechen.«
»Tante Helena können wir nicht fragen – sie ist zu alt.«
»Und Honoria ist schon seit über einem Jahr verheiratet. Außerdem ist sie jetzt so damit beschäftigt, eine Herzogin zu sein und Sebastian aufzuziehen, dass sie sich womöglich schon gar nicht mehr daran erinnern kann, was damals für sie wichtig war.«
»Und Patience geht es nicht gut. Zumal sie auch ziemlich … abgelenkt scheint – als ob sie sich bereits Gedanken über ihr Baby macht.«
»Aber wir dachten, du könntest es wissen – du bist schließlich eine Heilerin, und die wissen immer alles, außerdem hast du Richard auch gerade erst kürzlich geheiratet, also solltest du dich noch daran erinnern können, warum du das getan hast.«
Dieser Logik gab es nichts mehr entgegenzusetzen. Catriona musste lachen. Doch ihr Lachen war freundlich und sanft; in ihrem Inneren aber war sie tief gerührt, verwundert und geradezu ein wenig demütig. Da hatte sie sich Gedanken darüber gemacht, wie sie etwas über eine »Familie« lernen sollte, ganz so, als ob dies etwas wäre, das sie aus der Distanz studieren könnte – und nun waren hier die Zwillinge und erinnerten sie daran, dass die »Familie« nicht irgendetwas weit Entferntes war, sondern sich genau in diesem Augenblick ereignete. Catriona war, das sagten ihr die blauen Augen der Zwillinge, bereits ein Rädchen in dem riesigen Cynster-Getriebe, wurde als solches akzeptiert und sogleich in Anspruch genommen in einer Angelegenheit, die für die jüngere Generation von höchster Bedeutung war. Genau so war es, wie Familien funktionierten.
Catriona atmete einmal tief ein, schaute die Zwillinge an und erkannte die Ernsthaftigkeit, die sich in deren Augen widerspiegelte. »Wenn ich eure Frage richtig verstehe«, begann sie und senkte ihren Blick wieder auf die Creme hinab, die sie gerade anrührte, »dann wollt ihr nicht wissen, warum ich Richard geheiratet habe, sondern wonach man bei einem zukünftigen
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