Gezeiten der Liebe
sie kein bißchen nervös war. Ein wenig übermütig vielleicht, weil ihr Kopf sich so leicht, ihr Herz sich so frei anfühlte. Die so lange Zeit vergrabene und jetzt befreite Hoffnung erstrahlte in goldenem Glanz.
Sie fragte sich, ob er in einen der schmalen Kanäle einbiegen würde, wo dichter Schatten herrschte und das Wasser die Farbe von Tabak annahm. Er konnte sich an den schaukelnden Bojen entlang zu einem ruhigen Plätzchen schlängeln, einem Fleck, wo nicht einmal die Möwen sie stören würden.
Ethan fühlte sich so wohl in ihrer Gesellschaft, daß er es dem Wind überließ, ihren Kurs zu bestimmen. Aber ein paar kleinere Korrekturen sollte ich doch vornehmen, dachte er. Sonst würden die Segel zu flattern beginnen. Aber er wollte Grace nicht loslassen noch nicht.
Sie duftete nach ihrer Limonenseife, und ihr Haar strich weich über seine Wange. So könnte ihr ganzes Leben sein, dachte er. Stille Momente, abendliche Segelfahrten. Zusammensein. Kleine Träume in große Träume verwandeln.
»Sie genießt den Spaß ihres Lebens«, murmelte Grace.
»Hmmm?«
»Das kleine Mädchen da drüben, das die Möwen füttert.« Sie wies mit dem Kopf auf den Einer und lächelte bei der Vorstellung, daß Aubrey in ein paar Jahren am Heck von Ethans Boot stehen und ebenso lachen und den Möwen zurufen würde. »Oje, da kommt ihr kleiner Bruder, um seinen Anteil einzufordern.« Sie lachte, von den Kindern bezaubert. »Zusammen geben sie ein hübsches Bild ab«, fügte sie leise hinzu und beobachtete, wie die beiden die Brotkrumen hoch in die Luft schleuderten, um sie von den eifrigen Schnäbeln auffangen zu lassen. »Sie leisten sich gegenseitig Gesellschaft. Ein Einzelkind ist öfter mal einsam.«
Ethan schloß kurz die Augen, als sein eigener, erst halb
geformter Tagtraum in tausend Stücke zersprang. Sie würde weitere Kinder haben wollen. Und sie hatte das Recht dazu. Das Leben bestand nicht nur aus netten Segelfahrten in der Bucht.
»Ich muß mich um die Segel kümmern«, sagte er. »Willst du mal ans Steuer?«
»Ich übernehme die Segel.« Sie grinste, als sie unter seinem Arm hindurchschlüpfte, um nach Backbord zu gehen. »Ich habe nicht vergessen, wie man segelt, Capt’n.«
Nein, dachte er, das hatte sie nicht vergessen. Sie war eine gute Seglerin, an Deck eines Boots ebenso zu Hause wie in ihrer Küche. Die Takelage bediente sie mit dem gleichen Geschick, mit dem sie im Pub den Gästen die Getränke servierte.
»Es gibt nicht vieles, was du nicht kannst, Grace.«
»Wie bitte?« Sie schaute auf, dann lachte sie. »Es ist nicht schwer, mit dem Wind umzugehen, wenn man damit aufgewachsen ist.«
»Du bist ein Naturtalent im Segeln«, widersprach er. »Eine wunderbare Mutter, eine hervorragende Köchin. Du sorgst dafür, daß die Menschen, die dir nahe sind, sich wohlfühlen.«
Ihr Puls beschleunigte sich, raste. Würde er sie jetzt doch noch fragen, bevor sie ihn selbst fragen konnte? »All diese Dinge tue ich gern«, sagte sie und sah, daß er sie beobachtete. »Hier in St. Chris zu leben, macht mir Freude, und dir auch, Ethan.«
»Ich brauche diesen Ort«, erwiderte er leise. »Er hat mich gerettet«, fügte er hinzu, hatte sich jedoch abgewandt, so daß sie es nicht hören konnte.
Grace wartete kurz und wünschte, er würde weitersprechen, es ihr sagen, sie fragen. Dann überquerte sie kopfschüttelnd das Deck.
Die Sonne stand dicht vor dem allnächtlichen Kuß mit der Bucht. Das Wasser lag ruhig da, nur winzigkleine Wellen
tanzten um den Bootsrumpf. Die weißen Segel bauschten sich.
Jetzt, dachte sie, und ihr Herz tat einen Satz. Jetzt, jetzt.
»Ethan, ich liebe dich so sehr.«
Er hob den Arm, um sie an sich zu ziehen. »Ich liebe dich auch, Grace.«
»Ich habe dich immer geliebt. Und ich werde dich immer lieben.«
In diesem Augenblick schaute er sie an, und sie sah die Rührung in seinen Augen, die das Blau seiner Iris verdunkelte. Sie legte die Hand an seine Wange und ließ sie dort, bis sie tief Luft geholt hatte.
»Willst du mich heiraten?« Sie erkannte die Überraschung, die sie erwartet hatte, merkte jedoch nicht, wie sein Körper sich versteifte, als sie hastig weiterredete. »Ich will, daß wir eine Familie sind. Ich will mein Leben mit dir verbringen. Kinder mit dir haben. Dich glücklich machen. Haben wir nicht lang genug gewartet?«
Und sie wartete wieder, doch sie wartete umsonst darauf, daß das verhaltene Lächeln sich über sein Gesicht breitete, seine Augen aufleuchten ließ.
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