Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gezeiten der Liebe

Gezeiten der Liebe

Titel: Gezeiten der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: N Roberts
Vom Netzwerk:
könnte. Sie war erfahren genug, um zu wissen, wohin sie gehen mußte, um Männer zu finden, denen nichts an Frauen lag. Männer, die für Kinder gutes Geld bezahlen würden.«
    Sie konnte nicht sprechen, obwohl sie eine Hand auf ihren Hals legte, wie um die Worte, nur ein Wort herauszupressen. Sie konnte nur dastehen, leichenblaß im Licht des aufgehenden Mondes, mit riesigen, ängstlichen Augen.
    »Beim erstenmal kämpfst du noch. Du kämpfst wie um dein Leben, und ein Teil von dir kann nicht glauben, daß es wirklich passiert. Es kann einfach nicht sein. Es spielt keine Rolle, daß du weißt, was Sex ist, weil du ja das ganze Leben mit seiner häßlichen Seite zu tun hattest. Was das ist, weißt
du nicht, du kannst nicht glauben, daß so etwas möglich ist. Bis es dann passiert. Bis du nicht verhindern kannst, daß es passiert.«
    »Oh, Ethan. O Gott. O Gott.« Sie begann zu weinen, um ihn, um den kleinen Jungen, um eine Welt, in der es solch entsetzliche Dinge gab.
    »Sie nahm zwanzig Dollar ein, mir gab sie zwei davon. Und machte einen Strichjungen aus mir.
    »Nein«, sagte Grace hilflos schluchzend. »Nein.«
    »Ich verbrannte das Geld, aber das änderte nichts daran. Sie ließ mir zwei Wochen Zeit, dann verkaufte sie mich wieder. Man kämpft auch beim zweitenmal. Sogar noch erbitterter als beim erstenmal, weil man jetzt Bescheid weiß, und weil man es glauben muß. Und dann kämpft man jedesmal, immer wieder gegen denselben Alptraum, bis man einfach aufgibt. Du nimmst das Geld und versteckst es, weil du eines Tages genug haben wirst. Dann kannst du sie töten und entkommen. Und Gott weiß, daß man sie noch viel lieber töten als entkommen möchte.«
    Sie schloß die Augen. »Hast du es getan?«
    Er hörte ihre rauhe Stimme und vermutete dahinter Widerwille statt den gerechten Zorn, den sie empfand. Vermischt mit der Hoffnung, daß er es getan hatte. Oh, hätte er sie nur getötet!
    »Nein. Nach einer Weile wird es zu deinem normalen Leben. Das ist alles. Nicht mehr, nicht weniger. Du lebst es einfach.«
    Jetzt wandte er sich ab, um auf das Haus zu schauen, wo Licht aus den Fenstern schien. Von wo Musik – Cam auf seiner Gitarre – vom Wind zu ihnen getragen wurde, eine hübsche, einschmeichelnde Melodie.
    »So lebte ich, bis ich zwölf war und einer der Männer, an die sie mich verkaufte, ausrastete. Er schlug mich ziemlich brutal, was allerdings nicht ungewöhnlich war. Aber dann stolperte ich über irgend etwas und fiel, und er ging
statt dessen auf sie los. Sie demolierten die Wohnung und machten soviel Krawall, daß die Nachbarn, die bisher darauf geachtet hatten, sich bloß nicht einzumischen, wütend gegen die Tür hämmerten.
    »Er hatte die Hände um ihren Hals gelegt«, fuhr Ethan fort. »Und ich lag auf dem Fußboden und schaute zu ihnen hoch, sah, wie ihre Augen hervorquollen und dachte, vielleicht tut er es ja. Vielleicht erledigt er es für mich. Da bekam sie ein Messer zu fassen und stach damit zu. Sie bohrte es ihm in dem Moment in den Rücken, als die Nachbarn, die gegen die Tür gehämmert hatten, eindrangen. Ich hörte Schreie, Kreischen. Sie nahm dem Mistkerl die Brieftasche ab, während er blutend auf dem Fußboden lag. Und dann floh sie, ohne einen Blick an mich zu verschwenden.«
    Achselzuckend wandte er sich ihr wieder zu. »Irgend jemand rief die Polizei, und ich wurde ins Krankenhaus gebracht. Ich kann mich nicht mehr an alles erinnern, aber da landete ich. Ärzte, Cops und Sozialarbeiter«, sagte er leise. »Sie stellten Fragen, schrieben alles auf. Ich schätze, sie haben nach ihr gesucht, sie aber nie gefunden.«
    Dann schwieg er, so daß nur das Plätschern des Wassers zu hören war, der Ruf der Insekten, der Widerhall von Gitarrenklängen. Grace sagte nichts, da sie wußte, daß er noch nicht fertig war. Noch nicht ganz.
    »Stella Quinn nahm an einem Ärztekongreß in Baltimore teil und machte Visite im Krankenhaus. Sie kam zu mir ans Bett. Vermutlich hat sie sich mein Krankenblatt angesehen, ich weiß es nicht mehr. Ich weiß nur, daß sie da war, sich mit den Händen auf das Fußteil stützte und mich ansah. Sie hatte liebevolle Augen, keine weichen, aber liebevolle Augen. Sie sprach zu mir. Ich achtete nicht auf das, was sie sagte, nur auf ihre Stimme. Sie kam immer wieder. Manchmal war Ray bei ihr. Eines Tages sagte sie zu mir, ich könne mit ihnen nach Hause kommen, wenn ich wollte.«

    Er verstummte erneut, als sei das alles. Aber Grace dachte nur, daß der Moment, in

Weitere Kostenlose Bücher