Gezeiten der Liebe
hinzu. »Ich jedenfalls hätte geschlottert vor Angst.«
»Die Worte purzeln einfach nur so aus mir heraus, wenn ich in Wut gerate.«
»Ich versteh schon. Ich würde ihr auch gern so manches sagen, aber in meiner Position kann ich es nicht tun. Oder ich darf es nicht«, sagte sie seufzend. »Ich tippe das hier eben für Seth’ Akte, dann muß ich wohl noch einen Brief an sie aufsetzen.«
»Warum?« Grace’ Finger krampften sich um den Besenstiel. »Warum mußt du Überhaupt Kontakt mit ihr halten?«
»Cam und seine Brüder müssen Bescheid wissen, Grace. Sie müssen wissen, in welchem Verhältnis Gloria DeLauter und Seth zu Ray standen.«
»Es ist nicht wahr, was die Leute behaupten.« Grace’ Augen blitzten, als sie eine Kehrschaufel aus dem Besenschrank holte. Den in ihr schwelenden Zorn konnte sie leider nicht so problemlos beseitigen wie den Schmutz. »Professor Quinn hätte seine Frau nie im Leben betrogen. Er hat sie geliebt.«
»Sie brauchen sämtliche Fakten, und Seth auch.«
»Die Fakten sind bekannt. Professor Quinn hatte Feingefühl.
Eine Frau wie Gloria DeLauter hätte er nie wahrgenommen – höchstens aus Mitleid oder Ekel.«
»Cam denkt genauso. Aber die Leute sagen auch, daß Seth die gleichen Augen hat wie Ray Quinn.«
»Nun, dann muß es eine andere Erklärung dafür geben.« Erhitzt räumte Grace Besen und Schaufel weg und griff statt dessen nach Eimer und Mop.
»Mag sein. Andererseits muß man darauf gefaßt sein, daß die Quinns genau wie alle anderen Paare hier und da Probleme in ihrer Ehe hatten. Außereheliche Affären sind leider fast schon die Norm.«
»Ich gebe nichts auf all diese Statistiken, die man im Fernsehen hört oder in Zeitschriften lesen kann, daß angeblich drei von fünf Männern oder so ihre Frau betrügen.« Grace gab Reinigungsmittel in den Eimer, stellte ihn ins Waschbecken und drehte den Wasserhahn voll auf. »Die Quinns liebten sich, mochten sich. Sie bewunderten einander. Das konnte man gar nicht übersehen, wenn man mit ihnen umging. Durch ihre Söhne kamen sie sich nur noch näher. Wenn man die fünf zusammen traf, dann
wußte man, was eine echte Familie ist. So wie ihr fünf jetzt eine echte Familie seid.«
Anna lächelte gerührt. »Wir arbeiten zumindest daran.«
»Ihr habt nur noch nicht so viele Jahre hinter euch wie die Quinns.« Grace stemmte den Eimer aus dem Waschbecken. »Sie waren eine Einheit.«
Einheiten zerbrechen oft, dachte Anna. »Wenn Ray etwas mit Gloria gehabt hätte – wäre Stella dann bereit gewesen ihm zu verzeihen?«
Grace stieß den Mop in den Eimer und warf Anna einen kühlen, entschlossenen Blick zu. »Würdest du dann Cam verzeihen?«
»Ich weiß es nicht«, sagte Anna nach einer kleinen Pause.
»Wäre auch sinnlos, weil ich ihn nämlich umbringen würde. Aber vielleicht würde ich später Blumen auf sein Grab legen.«
»Genau.« Grace nickte befriedigt. »Solch einen Verrat schluckt man nicht so schnell hinunter. Und es ist ja wohl klar, daß ihre Söhne es mitbekommen hätten, wäre es zu Spannungen zwischen ihnen gekommen. Kinder sind nicht dumm, ganz gleich wie viele Erwachsene das glauben mögen.«
»O nein, das sind sie nicht«, murmelte Anna. »Wie auch immer die Wahrheit aussehen mag, sie müssen es herausfinden. Ich tippe jetzt mal meine Notizen ab«, sagte sie und stand auf. »Wirfst du später mal einen Blick darauf, ob du noch irgendwas hinzufügen oder ändern willst, bevor sie in die Akte aufgenommen werden?«
»In Ordnung. Ich muß noch Wäsche aufhängen, dann werde ich ...«
Sie hörten es gleichzeitig, das aufgeregte, fröhliche Gebell der Hunde. Grace’ Reaktion war unverhüllte Panik. Sie hatte nicht auf die Zeit geachtet – Ethan war nach Hause gekommen.
Schnell ließ Anna ihr Notizbuch in einer Küchenschublade verschwinden. »Ich will erst mit Cam darüber reden, bevor wir Seth von dem Anruf erzählen.«
»Ja, es ist sicher besser so. Ich ...«
»Du kannst hinten rausgehen, Grace«, sagte Anna leise. »Ich kann gut verstehen, daß du heute nicht noch einen Zusammenstoß verkraften kannst.«
»Ich muß noch Wäsche aufhängen.«
»Für heute hast du mehr als genug getan.«
Grace straffte die Schultern. »Was ich anfange, bringe ich auch zu Ende.« Sie ging in die Waschküche und öffnete scheppernd die Tür der Waschmaschine. »Was man von so einigen Leuten leider nicht behaupten kann.«
Anna hob eine Augenbraue. Ethan stand eine Überraschung ins Haus, dachte sie. Und war es
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