Gezeiten der Liebe
anderen. Am besten war es wohl, wenn er vorn ins Haus ging und sich nach oben verzog. Er trat einen Schritt zurück, blieb jedoch wie angewurzelt stehen, als sie sich umdrehte. Sie warf ihm einen langen Blick zu, den er sich nicht zu deuten wußte, dann bückte sie sich nach dem nächsten Kissenbezug.
»Hallo, Ethan.«
»Grace.« Er schob die Hände in die Taschen. Selten hatte er sie so kühl erlebt.
»Ist doch albern, ums Haus herumzugehen, nur um mich zu meiden.«
»Ich wollte ... etwas auf dem Boot nachsehen.«
»Gut. Das kannst du dann ja tun, nachdem wir miteinander geredet haben.«
»Ich war mir nicht sicher, ob du mit mir reden wolltest.« Er näherte sich ihr vorsichtig. Ihr Tonfall ließ die Temperatur des brütend heißen Tages um einige Grad sinken.
»Neulich abends habe ich schon mit dir zu reden versucht, aber du warst nicht geneigt, mir dein Ohr zu leihen.« Sie griff in den Korb. Offenbar war es ihr völlig gleichgültig, daß sie jetzt seine Unterwäsche aufhängte. »Danach brauchte ich ein wenig Zeit für mich, um all das erst mal zu verdauen und in meinem Kopf zu ordnen.«
»Und was denkst du?«
»Zunächst sollte ich dir wohl etwas zu den Dingen sagen, von denen du mir erzählt hast. Was du durchgemacht hast, bevor du hierherkamst, hat mich schockiert und mir weh getan, und ich empfinde nichts als Mitgefühl für den kleinen Jungen, der du damals warst, und Wut über das, was ihm zugestoßen ist.« Sie warf ihm einen Blick zu, als sie die nächste Wäscheklammer feststeckte. »Aber das willst du nicht hören. Du willst nicht wissen, was ich dabei empfunden habe, wie sehr es mich getroffen hat.«
»Nein«, sagte er ruhig. »Nein, ich wollte nicht, daß es dir weh tut.«
»Weil ich so zerbrechlich bin. Weil ich so zart bin.«
Er zog die Brauen zusammen. »Zum Teil. Und ...«
»Und deshalb hast du diese häßlichen, grausamen Dinge für dich behalten«, fuhr sie fort, während sie sich an der Wäscheleine entlangarbeitete. »Obwohl es nichts in meinem Leben gibt, was du nicht weißt. So sollte es deiner Meinung nach sein – ich bin ein offenes Buch für dich, und du versteckst dich vor mir.«
»Nein, das war’s nicht. Nicht nur.«
»Was sollte es sonst gewesen sein?« sagte sie, aber er glaubte nicht, daß es eine Frage war und war klug genug, nicht zu antworten. »Ich habe darüber nachgedacht,
Ethan. Ich habe über vieles nachgedacht. Warum gehen wir es nicht Schritt für Schritt durch? Du arbeitest gern planmäßig und logisch. Und da du es magst, wenn alles nach deinen Vorstellungen verläuft, gehen wir jetzt eben planmäßig und logisch vor.«
Die Hunde, die Ärger witterten, verzogen sich zum Wasser. Ethan beneidete sie.
»Du hast gesagt, du hättest mich schon seit Jahren geliebt. Seit Jahren«, sagte sie mit so plötzlich aufwallendem Zorn, daß er beinahe zurückgeprallt wäre. »Aber du unternimmst gar nichts. Du kommst nicht einmal, kein einziges Mal zu mir und fragst mich, ob ich nicht mit dir zusammensein möchte. Ein Wort von dir, ein Blick von dir hätte mich glücklich gemacht. Aber nein, o nein, nicht Ethan Quinn mit der grüblerischen Art und der unglaublichen Selbstkontrolle. Du hast immer Abstand gehalten und hast zugelassen, daß ich mich nach dir verzehre.«
»Ich wußte nicht, daß du so für mich empfindest.«
»Dann bist du ebenso blind wie dumm«, fuhr sie ihn an.
Er runzelte die Brauen. »Dumm?«
»Ja, das sagte ich.« Sein empörtes Gesicht war Balsam für ihr angeschlagenes Selbstbewußtsein. »Ich hätte Jack Casey niemals beachtet, hättest du mir auch nur einen Zipfel Hoffnung gegeben. Aber ich brauchte jemanden, der mich begehrte, und es sah nicht so aus, als ob von dir jemals etwas in der Richtung kommen würde.«
»Jetzt warte mal einen Moment. Ich bin nicht schuld daran, daß du Jack geheiratet hast.«
»Nein, die Schuld trage einzig und allein ich. Ich übernehme die Verantwortung, und ich bereue es nicht, weil ich Aubrey bekommen habe. Aber dir gebe ich auch einen Teil Schuld, Ethan.« Die goldgesprenkelten grünen Augen loderten auf. »Deine Schuld besteht darin, daß du zu starrsinnig warst, um dir zu nehmen, was du dir wünschtest. Und du hast dich nicht im mindesten verändert.«
»Du warst zu jung ...«
Sie legte all ihre Kraft in den Stoß, den sie ihm mit beiden Händen versetzte. »Ach, halt den Mund. Du konntest sagen, was du wolltest. Jetzt bin ich dran.«
In der Küche lief Seth hochrot an. Er stürzte zur Tür,
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