Gezeiten der Liebe
hab’ ihn nie angerührt.«
»Halten Sie den Mund! Halten Sie endlich ihren erbärmlichen Mund!« Sie hatte den Faden verloren, Seth’ und Ethans Mutter vermischt und eine Frau aus ihnen gemacht. Ein Ungeheuer. »Ich weiß, was Sie ihm angetan haben, und in meinen Augen ist kein Kerker finster genug, um Sie dort einzusperren. Aber ich werde einen Kerker für Sie finden, und ich werde Sie höchstpersönlich hineinbefördern, wenn Sie ihm noch einmal zu nahe kommen.«
»Ich will bloß Geld.« In ihrer Stimme lag jetzt ein schmeichlerischer Ton, hinterhältig und eine Spur ängstlich. »Bloß ein bißchen Geld, um mir über das Gröbste hinwegzuhelfen. Sie haben soviel davon.«
»Für Sie habe ich nichts anderes übrig als Verachtung. Halten Sie sich von hier fern, halten Sie sich von dem Kind fern, oder Sie werden diejenige sein, die bezahlt.«
»Sie sollten lieber noch mal darüber nachdenken. Denken Sie lieber noch mal darüber nach.« Ein erstickter Laut war zu hören, dann klimperte Eis gegen ein Glas. ’Sie sind nicht besser als ich. Ich habe keine Angst vor Ihnen.«
»Sie sollten aber Angst haben. Sie sollten furchtbare Angst haben.«
»Das ... das letzte Wort über diese Sache ist noch nicht gesprochen. Ich bin noch nicht fertig mit Ihnen.«
Ein lautes Klicken ertönte, und die Verbindung war unterbrochen.
»Mag sein«, sagte Grace leise, drohend. »Aber ich auch nicht.«
»Gloria DeLauter«, murmelte Anna. Sie stand draußen vor der Fliegentür, wo sie seit zwei Minuten zuhörte.
»Ich glaube nicht, daß sie ein Mensch ist. Wäre sie jetzt hier in diesem Zimmer, dann würde ich ihr an die Kehle gehen. Wie ein Tier hätte ich sie angefallen.« Grace begann zu zittern, vor Wut und Schock. »Ich hätte sie getötet. Oder es zumindest versucht.«
»Ich weiß, wie man sich bei so etwas fühlt. Es ist schwer, ein menschliches Wesen in solchen Leuten zu sehen.« Den Blick auf Grace geheftet, schob Anna die Tür auf. Sie hätte nie damit gerechnet, eine so sanfte Frau in solch glühenden Zorn ausbrechen zu sehen. »Bei der Arbeit habe ich sehr oft mit solchen Personen zu tun, und ich kann mich einfach nicht daran gewöhnen.«
»Sie war widerlich.« Grace schauderte. »Sie hat mich für dich gehalten, als ich abnahm. Ich habe versucht, den Irrtum aufzuklären, aber sie wollte mir nicht zuhören. Sie schrie nur, drohte mir und beschimpfte mich. Das konnte ich doch nicht einfach so hinnehmen. Ich konnte es nicht ertragen. Es tut mir leid.«
»Ist schon gut. Soweit ich es mitbekommen habe, hast du dich wacker geschlagen. Willst du dich setzen?«
»Nein, ich kann nicht. Ich kann nicht stillsitzen.« Sie schloß die Augen, vor die sich ein grellroter Schleier gelegt hatte. »Anna, sie sagte, daß sie kommt und Seth holt, wenn sie kein Geld kriegt.«
»Sie wird kein Geld bekommen.« Anna ging zum Kühlschrank und holte eine Flasche Wein heraus. »Ich gieße dir jetzt mal ein Glas ein. Du trinkst es ganz langsam, während ich mein Notizbuch hole. Und dann versuchst du zu wiederholen, was sie gesagt hat, so exakt wie möglich. Kannst du das schaffen?«
»Ja. Ich erinnere mich noch genau.«
»Gut.« Anna schaute auf die Uhr. »Wir werden alles dokumentieren müssen. Wenn sie tatsächlich herkommt, sollten wir vorbereitet sein.«
»Anna.« Grace starrte auf das Glas, das Anna ihr gegeben hatte. »Er darf nicht mehr verletzt werden. Er soll keine Angst mehr vor ihr haben.«
»Ich weiß. Wir werden dafür sorgen, daß es aufhört. Ich bin gleich wieder da.«
Anna ging zweimal das Gespräch mit ihr durch. Beim zweiten Durchgang konnte Grace nicht mehr stillsitzen. Sie stand auf, ließ das halbvolle Glas stehen und holte sich einen Besen.
»Wie sie es sagte, war genauso gemein wie das, was sie sagte«, berichtete sie, während sie fegte. »Denselben Ton muß sie Seth gegenüber benutzt haben. Ich kann nicht verstehen, wie ein Mensch so zu einem Kind sprechen kann.« Dann schüttelte sie den Kopf. »Aber sie sieht ihn gar nicht als Kind. Für sie ist er eine Sache.«
»Sollte man dich als Zeugin vorladen, dann könntest du unter Eid aussagen, daß sie Geld gefordert hat?«
»Mehr als einmal«, bestätigte Grace. »Wird es denn dazu kommen, Anna? Wirst du auch mit Seth vor Gericht gehen müssen?«
»Ich weiß es noch nicht. Sollte es sich so entwickeln, können wir Erpressung mit auf die Liste der Vergehen setzen, die du aufgezählt hast. Du mußt ihr angst gemacht haben«, fügte sie befriedigt lächelnd
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