Gezeiten der Liebe
alle erdenkliche Mühe gegeben, den Wünschen ihres Kunden gerecht zu werden. Deshalb hatte er sich auch für den Bug einer Kreuzerjolle entschieden, eine attraktive und wiederum auf Schnelligkeit und Wendigkeit zugeschnittene Lösung. Ein Heck von moderater Länge bildete das Gegenstück. Es hatte einen Überhang, durch den die Bootslänge die der Wasserlinie des Schiffs übertraf.
Alles in allem wirkte das Boot schnittig und elegant, ein großes Plus, da dem Kunden die Ästhetik mindestens ebenso am Herzen lag wie die Seetüchtigkeit des Fahrzeugs.
Als der Innenraum mit dem Spezialgemisch gestrichen werden mußte, das jeweils zur Hälfte aus erhitztem Leinöl und Terpentin bestand, hatte Ethan diese Aufgabe Seth übertragen – eine Knochenarbeit, bei der es trotz aller Vorsicht und trotz der Schutzhandschuhe immer wieder zu kleineren Verätzungen kam. Dennoch hatte der Junge tapfer durchgehalten.
Ethan hatte sich für eine Bauweise entschieden, die viel Platz unter Deck bot, weil sein Kunde gern Freunde und Verwandte zu seinen Segeltörns einlud.
Außerdem hatte er auf Teakholz bestanden, obwohl Ethan ihm versichert hatte, daß Kiefer oder Zeder für die Beplankung des Rumpfs völlig ausreichten. Aber der Klient war finanzkräftig und scheute keine Kosten, um seinen Liebhabereien zu frönen – und um eindrucksvolle Statussymbole herzeigen zu können, dachte Ethan. Aber er mußte doch zugeben, daß das Teakholz für eine wunderschöne Optik sorgte.
Sein Bruder Phillip arbeitete am Deck. Er hatte sein Hemd ausgezogen; sein dunkelbraunes Haar war unter einer schwarzen Baseballmütze verborgen, die er verkehrt herum aufgesetzt hatte. Er war damit beschäftigt, die Deckplanken zu verschrauben. Alle paar Sekunden übertönte das hohe, schrille Sirren des Elektroschraubendrehers Ray Charles’ einschmeichelnden Tenor.
»Wie geht’s voran?« Ethan mußte schreien, um sich Gehör zu verschaffen.
Phillips Kopf schnellte hoch. Sein Gesicht glänzte von Schweiß, aus seinen goldbraunen Augen sprach unverhohlene Gereiztheit. Er hatte sich gerade wohl zum hundertsten Mal vorgesagt, daß er eigentlich Werbefachmann war, kein Zimmermann oder Tischler.
»Hier drin ist es heißer als in der Hölle, und dabei haben wir erst Juni. Wir müssen mal ein paar Ventilatoren organisieren. Hast du in der Tasche da irgendwas Kaltes zu trinken, damit ich nicht elendiglich verdurste? Meinen Wasservorrat hab’ ich schon vor Stunden aufgebraucht.«
»Geh doch ins Bad und dreh den Hahn auf, da hast du Wasser im Überfluß«, sagte Ethan nachsichtig, während er sich bückte und eine kalte Coladose aus der Kühlbox holte. »Hochtechnologie vom Feinsten.«
»Ich wage nicht daran zu denken, was in dem Leitungswasser so alles herumschwimmt.« Phillip fing die Dose auf, die Ethan ihm zuwarf, und verzog beim Anblick der Aufschrift das Gesicht. »Die schreiben wenigstens drauf, welche Chemikalien sie reinkippen.«
»Tut mir leid, das stille Mineralwasser haben wir ausgetrunken. Du weißt ja, wie eigen Jim mit seinem Lifestyle-Wasser ist. Er kann nicht genug davon bekommen.«
»Ach, halt die Klappe«, sagte Phillip gutmütig. Gierig trank er von der eisgekühlten Cola. Als Ethan zu ihm hinaufstieg, um seine Arbeit zu inspizieren, hob er fragend eine Braue.
»Gut gemacht.«
»Mensch, danke, Boß. Wie sieht’s mit ’ner Lohnerhöhung aus?«
»Sicher, das doppelte von deinem bisherigen Entgelt. Seth ist hier doch das Superhirn. Was ergibt null multipliziert mit null, Seth?«
»Nullnull«, sagte Seth grinsend. Es juckte ihn in den Fingern, mit dem Elektroschraubendreher herumzuspielen. Bisher hatte er das strombetriebene Werkzeug nicht anrühren dürfen.
»Na, dann kann ich mir ja endlich meine Traumreise nach Tahiti leisten.«
»Warum springst du nicht schon mal unter die Dusche – es sei denn, du lehnst es auch ab, dich mit dem Giftwasser zu waschen. Ich übernehme dann hier.«
Die Versuchung war groß. Phillip war von Kopf bis Fuß mit Staub bedeckt, und ihm war unerträglich heiß. Für ein kaltes Glas Pouilly-Fuisse hätte er ohne mit der Wimper zu zucken einen Mord begangen. Andererseits war Ethan seit dem Morgengrauen auf den Beinen und hatte an normalen Maßstäben gemessen eigentlich schon eineinhalb Arbeitstage hinter sich.
»Ich kann noch ein, zwei Stunden dranhängen.«
»Prima.« Genau mit dieser Antwort hatte Ethan gerechnet. Phillip meckerte zwar viel und gern, aber er ließ einen nie im Stich. »Dann können wir
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