Gezeiten der Liebe
das Deck noch fertig aufplanken, ehe wir zusammenpacken.«
»Kann ich . . .«
»Nein«, sagten Ethan und Phillip im Chor, da sie genau wußten, was Seth fragen wollte.
»Wieso denn nicht?« wollte er wissen. »Ich bin doch nicht voll blöd und ballere mit Schrauben durch die Gegend.«
»Weil wir zu gern selber mit dem Ding spielen.« Phillip grinste. »Und wir sind nun mal größer und stärker als
du. Warte.« Er griff in seine Gesäßtasche, holte seine Brieftasche heraus und entnahm ihr einen Fünfdollarschein. »Geh mal kurz rüber zu Crawford’s und hol mir eine Flasche Mineralwasser. Und wenn du nicht mehr sauer bist, kannst du dir von dem Wechselgeld auch ein Eis kaufen.«
Seth war zwar nicht sauer, konnte sich jedoch die Bemerkung nicht verkneifen, daß er wie ein Sklave behandelt wurde. Mißmutig rief er seinen Hund und verließ die Werkstatt.
»Wir sollten ihm zeigen, wie man mit dem Werkzeug umgeht, sobald wir ein wenig mehr Zeit haben«, sagte Ethan. »Er weiß seine Hände zu gebrauchen.«
»Ja, aber jetzt mußte ich ihn mal eben für eine Weile loswerden. Gestern abend hatte ich keine Gelegenheit, es dir zu sagen: der Detektiv hat Gloria DeLauters Spur bis nach Nags Head verfolgt.«
»Dann zieht es sie also gen Süden.« Er fing Phillips Blick auf. »Hat er sie schon festgenagelt?«
»Nein, sie bleibt nie lange an einem Ort, und sie benutzt nur Bargeld. Viel Bargeld.« Erbittert preßte er die Lippen zusammen. »Sie hat ja auch genug Reserven, seit Dad ihr diese astronomische Summe für Seth bezahlt hat.«
»Sieht nicht so aus, als hätte sie Interesse, noch mal hier aufzukreuzen.«
»Ich würde sagen, sie hat ungefähr soviel Interesses an dem Kleinen wie eine läufige Straßenkatze an einem toten Kätzchen.«
Seine eigene Mutter war genauso gewesen, dachte Phillip. Gloria DeLauter war er zwar nie begegnet, doch er kannte dieses Sorte Frauen nur zu gut. Und er verabscheute sie aus tiefstem Herzen.
»Wenn wir sie nicht festnageln, werden wir nie die Wahrheit über Dad erfahren«, fügte Phillip hinzu und preßte die kalte Dose an seine Stirn. »Und über Seth.«
Ethan nickte. Er wußte, daß Phillip es als seine Mission ansah, die Wahrheit herauszufinden, und vielleicht hatte er sogar recht. Allerdings fragte er sich – und das viel zu oft, um nicht beunruhigt zu sein –, welche Konsequenzen die Wahrheit letztlich für sie haben würde. Das konnte noch niemand absehen.
Nach seinem vierzehnstündigen Arbeitstag träumte Ethan nur noch davon, ausgiebig zu duschen und sich ein eiskaltes Bier zu gönnen. Er tat beides, gleichzeitig. Zum Abendessen hatten die Quinns sich Sandwiches bringen lassen, und er verzehrte seinen Anteil allein auf der hinteren Veranda, wo er in der weichen Stille der frühen Abenddämmerung auf Rays Schaukelstuhl saß. Drinnen stritten Seth und Phillip darüber, welchen Videofilm sie sich zuerst ansehen sollten. Arnold Schwarzenegger gegen Kevin Costner.
Ethan tippte auf Arnie.
Ohne groß darüber zu diskutieren, hatten sie sich geeinigt, daß Samstagabend jeweils Phillip für Seth verantwortlich war. Auf diese Weise konnte Ethan frei über den Abend verfügen. Er konnte reingehen und sich ihnen anschließen – was er hin und wieder auch tat. Oder er konnte sich in sein Zimmer zurückziehen und es sich mit einem Buch gemütlich machen – was er zumeist vorzog. Er konnte aber auch genausogut ausgehen und etwas unternehmen – wozu er selten Lust hatte.
Bis zu dem plötzlichen Tod seines Vaters, durch den sich ihr Leben so dramatisch verändern sollte, hatte Ethan allein in seinen eigenen vier Wänden gewohnt und war in seinem geruhsamen Lebensrhythmus aufgegangen. Er sehnte sich nach dieser Zeit zurück, gab sich jedoch alle Mühe, gegen das junge Paar, das sein Haus gemietet hatte, keine Vorbehalte zu haben. Beide fanden es bezaubernd, wie zu beteuern sie nicht müde wurden. Die kleinen, intimen
Zimmer mit den hohen Fenstern, die überdachte Veranda, die lauschigen, schattenspendenden Bäume, die das Haus vor fremden Blicken abschirmten, das sanfte Plätschern des Wassers am Ufer ...
Er liebte das Haus ebenfalls. Da Cam jetzt verheiratet war und Anna bei ihnen einziehen würde, hätte er eigentlich wieder dorthin übersiedeln können. Aber sie waren noch auf die Mietzahlungen angewiesen. Im übrigen – was viel wichtiger war – hatte er sein Wort gegeben. Er würde hier wohnen bleiben, bis alle rechtlichen Fragen geklärt waren und Seth
Weitere Kostenlose Bücher