Gezeiten der Liebe
sein. Mehrere Kids versuchten bereits ihr Glück an den drei Videospielen, die an der rückwärtigen Wand aufgebaut waren; aus dem Musikautomaten heulte sich jetzt der Country-Barde Clint Black die Seele aus dem Leib. Das Kleinkind in der Nische hinter Ethan hatte einen ausgewachsenen Wutanfall, und eine Gruppe weiblicher Teenager kichert in einer Dezibelstärke, die Simon Ohrensausen beschert hätte.
Welch ein Ort, um sich einen so schönen Sommerabend um die Ohren zu schlagen.
Dann erspähte er Liz Crawford und Junior mit ihren beiden Töchtern. Eines der Mädchen – Stacy, vermutete Ethan – sprach schnell und gestikulierte aufgeregt, während der Rest der Familie sich vor Lachen schüttelte.
Eine verschworene Gemeinschaft, die sich inmitten der zuckenden Lichter und des Lärms in ihr eigenes kleines Reich zurückgezogen hatte. Darum ging es wohl bei dem Projekt Familie – daß man eine Insel hatte, auf die man sich jederzeit flüchten konnte.
Überrascht von dem Neidgefühl, das ihn bei diesem Gedanken überkam, rutschte Ethan unruhig auf der harten Bank herum und starrte mit finsterm Gesicht in die Ferne. Er hatte schon vor Jahren eine Entscheidung gefällt, was die Frage einer eigenen Familie betraf, und das leise Bedauern, das in ihm aufstieg, ging ihm gegen den Strich.
»Nanu, Ethan, du siehst ja total grimmig aus.«
Er schaute auf, als die Getränke vor ihn auf den Tisch gestellt wurden – und genau in die herausfordernden Augen von Linda Brewster.
Sie sah toll aus, keine Frage. Die hautenge schwarze Jeans und das ausgeschnittene schwarze T-Shirt schmiegten sich an ihren vollentwickelten Körper wie neuer Lack an die Karosserie eines alten Chevy-Klassikers. Nachdem ihre Scheidung rechtskräftig geworden war – am Montag vor einer Woche –, hatte sie sich eine Maniküre und einen neuen Haarschnitt geleistet. Lächelnd fuhr sie sich mit den korallenroten Nägeln durch ihren blond gesträhnten kurzen Haarhelm.
Sie hatte seit längerem ein Auge auf Ethan geworfen – schließlich hatte sie sich schon vor gut einem Jahr von Tom Brewster, diesem Ekel, getrennt, und eine Frau mußte an ihre Zukunft denken. Ethan Quinn war garantiert eine heiße Nummer im Bett, dachte sie. In solchen Dingen trog ihr Instinkt sie nie. Diese große, breiten Hände würden gründliche Arbeit leisten, da war sie sich sicher. Große, breite Hände mit sensiblen Fingern.
Sein Äußeres entsprach ganz ihrem Geschmack. Eine Spur rauh und wettergegerbt. Und erst sein zögerndes, ungemein sexy wirkendes Lächeln – wenn es einem gelang, ihn zum Lächeln zu bringen, mußte man sich schwer beherrschen, um sich nicht die Lippen zu lecken.
Nur leider gab er sich still und zurückhaltend. Aber Linda kannte das Sprichwort über stille Wasser. Und sie
hatte größte Lust, die verborgenen Tiefen eines Mannes auszuloten, den keiner so richtig kannte.
Ethan wußte nur zu genau, was ihr Blick zu bedeuten hatte, und ließ ebenfalls die Blicke schweifen – um Ausschau nach einem Fluchtweg zu halten. Frauen wie Linda jagten ihm eine Heidenangst ein.
»Hallo, Linda. Ich wußte gar nicht, daß du hier arbeitest.« Sonst hätte er das Village Pizza gemieden wie die Pest.
»Ich helfe eine Zeitlang meinem Vater aus.« Sie war völlig pleite, und ihr Vater – der Eigentümer des Village Pizza – hatte sich rundheraus geweigert, ihr unter die Arme zu greifen. Er und ihre Mutter würden den Teufel tun, sie ohne entsprechende Gegenleistung durchzuziehen, hatte er erklärt. Sie solle gefälligst ihren Hintern ins Lokal schwingen und sich nützlich machen. »Hab’ dich schon lange nicht mehr gesehen.«
»Ich war beschäftigt.« Er wünschte, sie würde endlich verschwinden. Ihr Parfüm machte ihn nervös.
»Wie ich höre, hast du zusammen mit deinen Brüdern die alte Scheune von Claremont gemietet, um Boote zu bauen. Ich wollte schon lange mal vorbeikommen und mir die Werkstatt ansehen.«
»Da gibt’s nicht viel zu sehen.« Wo, zum Teufel, steckte Seth, wenn man ihn brauchte? dachte Ethan verzweifelt. Wie lange kam man an diesen Geräten mit ein paar Vierteldollars aus?
»Ich möchte mich aber trotzdem mal umsehen.« Sie fuhr mit ihren glänzenden Nägeln über seinen Arm und seufzte schmachtend, als sie die Wölbungen seiner Muskeln ertastete. »Ich könnte mich durchaus für ein Weilchen loseisen. Warum fährst du nicht mit mir hin und zeigst mir alles?«
In seinem Kopf herrschte plötzliche Leere. Er war schließlich auch
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