Gezeiten der Liebe
starrte ihn fassungslos an.
Ihre Augen waren verschleiert vom Schlaf und glänzten vor Überraschung. Ihr Mund formte ein weiches, höchst verlockendes »oh . . .«. Dann schoß ihr plötzlich das Blut in die Wangen.
»Was? Was ist los?« stieß sie in einer herzzerreißenden Mischung aus Erregung und Verlegenheit hervor.
»Wenn du ein Nickerchen machen willst, solltest du so klug sein wie Aubrey und dich drinnen hinlegen, nicht in der prallen Sonne.« Er hörte, wie rauh seine Stimme klang, konnte aber nichts dagegen tun. Die Begierde schnürte ihm die Kehle zu.
»Ich hab’ nur . . .«
»Du hast mich um mindestens zehn Jahre älter gemacht, so erschrocken war ich, als ich dich hier liegen sah. Ich dachte, du wärst ohnmächtig geworden.«
»Ich hab’ mich nur kurz hingelegt. Aubrey hat geschlafen, deshalb . . . Aubrey! Ich muß sofort nach ihr sehen.«
»Das hab’ ich schon erledigt. Ihr geht’s bestens. Es wäre vernünftiger gewesen, wenn du dich zu ihr aufs Sofa gelegt hättest.«
»Ich komme doch nicht her, um zu schlafen!«
»Du hast aber geschlafen.«
»Nur eine Minute.«
»Du brauchst aber mehr als nur eine Minute Schlaf.«
»Quatsch. Heute war nur alles so kompliziert, und mein Kopf war so müde.«
Er mußte fast lachen. In der Küche blieb er stehen, hielt sie immer noch fest und blickte ihr in die Augen. »Dein Kopf war müde?«
»Ja.«Wenn er sie so ansah, ließ ihr Verstand sie vollends im Stich. »Ich mußte eine Minute abschalten, das war alles. Laß mich jetzt runter, Ethan.«
Dazu war er nicht bereit, noch nicht. »Etwa eineinhalb
Kilometer von hier habe ich deinen Wagen an der Straße stehen sehen.«
»Ich habe Dave schon angerufen und ihm Bescheid gesagt. Sobald er kann, holt er ihn ab.«
»Du bist zu Fuß hergekommen, und Aubrey hast du auf dem Arm getragen?«
»Nein, mein Chauffeur hat uns hergebracht. Also wirklich! Laß mich runter, Ethan.« Bevor ich explodiere, sagte ihr Blick.
»Für den Rest des Tages kannst du deinem Chauffeur freigeben. Ich fahre euch nach Hauses, wenn Aubrey aufwacht.«
»Nach Hause finde ich schon allein. Ich habe kaum mit der Arbeit angefangen. Ich muß jetzt unbedingt weitermachen.«
»Du legst die fünf Kilometer bis nach Hauses nicht zu Fuß zurück.«
»Ich rufe Julie an. Sie kommt dann her und holt uns ab. Du mußt doch selbst noch arbeiten. Ich . . . ich hinke meinem Plan hinterher«, fügte sie verzweifelt hinzu. »Ich kann die Zeit nicht aufholen, wenn du mich nicht runterläßt.«
Er betrachtete sie. »An dir ist wirklich nicht mehr viel dran.«
Die letzte Spur von Verlagen verwandelte sich in Ärger. »Wenn du damit sagen willst, daß ich zu dünn bin . . .«
»Zu dünn würde ich nicht sagen. Du hast einen zarten Knochenbau, das ist alles.« Und glattes, weiches Fleisch drum herum. Er stellte sie auf den Boden, ehe er noch vergaß, daß er ja eigentlich auf sie aufpassen wollte. »Heute brauchst du nichts mehr im Haushalt zu tun.«
»O doch. Ich muß meine Arbeit erledigen.« Ihre Nerven bescherten ihr eine Achterbahnfahrt. Sein Blick weckte in ihr den Wunsch, sich blindlings wieder in seine Arme zu werfen. Gleichzeitig wollte sie am liebsten die Flucht ergreifen, wie ein Hase zur Hintertür hinausflitzen.Was für
ein Hin und Her! Ihr fiel nichts anderes ein, als sich hinter ihrer Arbeit zu verschanzen. »Ich werde schneller fertig, wenn du mir nicht im Weg stehst.«
»Ich verschwinde, sobald du Julie angerufen hast und sie dir verspricht, dich abzuholen.« Er hob die Hand und zupfte den Flaum eines Löwenzahns aus ihrem Haar.
»Na gut.« Sie drehte sich um und tippte die Nummer in den Apparat in der Küche. Vielleicht wäre es ja doch das beste, wenn Anna ihr nach ihrer Rückkehr kündigte, dachte sie aufgeregt, während sie es bei Julie klingeln ließ. Es schien, als könne sie nicht einmal mehr zehn Minuten mit Ethan zusammensein, ohne die Nerven zu verlieren. Wenn das so weiterging, würde sie noch etwas tun, das sie beide in tödliche Verlegenheit stürzte.
6. Kapitel
Ethan arbeitete gern bis spätnachts an dem Boot, vor allem, wenn er allein war. Es hatte keiner großen Überredungskunst bedurft, damit er Seth erlaubte, mit seinen Freunden im Garten zu zelten. So hatte Ethan den Abend für sich – in letzter Zeit eine Seltenheit – und Zeit, sich seiner Arbeit zu widmen, ohne auf Fragen und Bemerkungen eingehen zu müssen.
Nicht, daß der Junge ihm auf die Nerven fiel, dachte Ethan. Ganz im Gegenteil – er hatte
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