Gezeiten der Liebe
ihn fest ins Herz geschlossen. Seth als neues Mitglied der Familie zu akzeptieren, war ihm nicht schwergefallen, da Ray ihn darum gebeten hatte. Aber Zuneigung, Wertschätzung und Loyalität waren erst im Lauf der Monate gewachsen, und inzwischen hing er an dem Jungen, als wären sie blutsverwandt.
Aber das hieß noch lange nicht, daß der Kleine seine Aufmerksamkeit pausenlos mit Beschlag belegen durfte.
An diesem Abend beschränkte Ethan sich auf reine Handarbeit. Selbst wenn man sich um Mitternacht wach und einsatzbereit vorkam, war man vielleicht doch eine Spur zu nachlässig, und er wollte um keinen Preis das Risiko eingehen, sich mit der Stichsäge einen Finger abzuschneiden. Auf jeden Fall tat es gut, in der Stille zu arbeiten und mit Sandpapier Kanten und Flächen zu schleifen, bis man die Glätte unter den Fingern spürte.
Noch vor Ende der Woche würden sie den Schiffsrumpf versiegeln können; anschließend konnte er Seth auf die Reling ansetzen. Wenn Cam sich unmittelbar in die Arbeit an den Unterdecks stürzte, und wenn Seth in den nächsten ein, zwei Wochen nicht zuviel an der Arbeit mit Kitt, Teer und Lack auszusetzen hätte, kämen sie zeitlich gut hin.
Er schaute auf seine Uhr, sah, daß ihm allmählich die Zeit weglief und packte sein Werkzeug ein. Da Seth nicht da war, um den Besen zu schwingen, fegte er selbst.
Um Viertel nach eins parkte er draußen vor dem Pub. Er hatte ebensowenig vor drinnen zu warten, wie er die Absicht hatte, Grace nach Feierabend die zwei Kilometer nach Hause zu Fuß gehen zu lassen. Daher lehnte er sich in seinem Sitz zurück, schaltete die Innenbeleuchtung ein und vertrieb sich die Zeit, indem er in seiner eselsohrigen Ausgabe von Straße der Ölsardinen schmökerte.
Im Pub nahte die Sperrstunde. Das einzige, was Grace’ Glück noch hätte steigern können, wäre ein Anruf von Dave mit der frohen Botschaft gewesen, daß sie lediglich ein paar gebrauchte Kaugummis benötigte, um ihren Wagen wieder flottzumachen. Haha.
Statt dessen hatte er ihr mitgeteilt, daß die Reparatur ein komplettes Monatseinkommen verschlingen würde, und selbst dann hätte sie großes Glück, wenn der alte Klapperkasten noch fünftausend Kilometer durchhielte.
Darüber würde sie sich später den Kopf zerbrechen müssen; im Moment hatte sie alle Hände voll damit zu tun, einen besonders beharrlichen Gast abzuschütteln, der auf dem Weg nach Savannah in St. Chris einen Zwischenstop einlegte. Er war überzeugt davon, daß Grace darauf brannte, im Rahmen seiner Abendunterhaltung eine tragende Rolle zu spielen.
»Ich habe mir ein Hotelzimmer genommen.« Er zwinkerte ihr zu, als sie sich hinunterbeugte, um seinen letzten Drink für diesen Abend auf den Tisch zu stellen. »Mit einem großen Bett und vierundzwanzig Stunden Zimmerservice. Wir könnten eine spitzenmäßige Party steigen lassen, Süße.«
»Ich gehe nicht oft auf Partys, aber danke.«
Er packte ihre Hand und zog sie an sich, so daß sie
aus dem Gleichgewicht kam und sich an seiner Schulter festhalten mußte, um nicht auf seinem Schoß zu landen. »Dann bietet sich dir jetzt die einmalige Chance dazu.« Sein lüsterner Blick glitt über ihre Brüste. »Ich habe eine große Schwäche für langbeinige Blondinen. Die kriegen bei mir immer eine Spezialbehandlung.«
Gott, was für ein schleimiger Kerl, dachte Grace, als er ihr seinen Bieratem ins Gesicht hauchte. Aber sie war schon mit schlimmeren Typen fertiggeworden. »Sehr lobenswert, aber nach meiner Schicht gehe ich immer direkt nach Hause.«
»Von mir aus können wir auch zu dir gehen.«
»Mister ...«
»Bob. Nenn mich einfach Bob, Kleines.«
Sie mußte sich gewaltsam losreißen. »Mister, ich bin nicht interessiert.«
Und ob sie das war, dachte er und bedachte sie mit einem garantiert atemberaubenden Lächeln – schließlich hatte er für die neuen Kronen zwei Riesen hingeblättert. »Die Widerspenstigen-Nummer törnt mich immer am meisten an.«
Grace entschied, daß er nicht mal einen angewiderten Seufzer wert war. »Wir schließen in einer Viertelstunde. Ich muß allmählich kassieren.«
»Schon gut, schon gut, du brauchst nicht gleich giftig zu werden.« Breit lächelnd holte er eine dicke Rolle Geldscheine heraus. Außen spickte er sie immer mit Zwanzigdollarscheinen, während sie innen aus Eindollarscheinen bestand. »Du rechnest aus, was ich euch schuldig bin, und dann ... verhandeln wir über dein Trinkgeld.«
Manchmal war es das beste, einfach den Mund
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