Gezeiten der Sehnsucht - Feehan, C: Gezeiten der Sehnsucht - Dangerous Tides (4 - Libby)
könnte es nicht mit Sicherheit sagen. Und woher in aller Welt hätten sie wissen sollen, dass du dich jemals auf sein Motorrad setzen würdest?«
Sarah schnaubte. »Die meisten Leute kämen gar nicht erst auf den Gedanken, eine Frau von deinem Intellekt würde so ein Ding besteigen.«
Libby drehte ihren Kopf um und sah mit einem verstohlenen kleinen Lächeln aus dem Fenster. Libby, das böse Mädchen. Ihre erste Strafpredigt von ihrer großen Schwester. Sie war erwachsen,
und sie war Ärztin, und doch erschien ihr das wie eine weltbewegende Leistung. Gefahr und Sex und eine Motorradfahrt. Nicht eine Minute ihrer Nacht mit Tyson Derrick hätte sie missen wollen.
»Nur für den Fall, dass es dich interessiert, Lib«, sagte Elle und musterte eingehend ihre Fingernägel. »Sarah hat nicht nur schon auf einem Motorrad gesessen, sondern sie besitzt eines und fährt es selbst.«
»Das gehört zu meiner Arbeit!«, betonte Sarah. »Ich bin im Sicherheitsdienst, und in diesem Job tue ich alles Mögliche. Libby ist Ärztin und viel … fragiler.«
Libby riss ihren Kopf herum. »So fragil bin ich nun auch wieder nicht. Ich bin Ärztin. Ich führe kein behütetes Leben, Sarah, und ich verkrieche mich auch nicht. Ich fliege in Länder der Dritten Welt, wo es keine Medikamente gibt, dafür aber jede Menge machtgierige Mörder.«
»Schon gut, Libby«, sagte Sarah. »Ich wollte dich nicht kränken, ich bin nur um dich besorgt.«
»Das will ich aber nicht. Warum glauben immer alle, ich müsste beschützt werden? Hannah und Joley sind beide schutzbedürftiger als ich. Sogar auf dich, Sarah, sollte jemand aufpassen. Ich tue nichts, was besonderen Schutz erfordert.«
Sarah grinste sie an. »Du triffst dich mit Tyson Derrick.«
Libby schnaubte und bemühte sich, nicht zu lächeln. Sie traf sich nicht nur mit ihm, aber das behielt sie für sich. »Es sieht ganz so aus.«
Elle schüttelte angewidert den Kopf und lehnte sich mit einem Stirnrunzeln auf ihrem Sitz zurück. »Die Nächste muss dran glauben. Nur damit du es weißt, Hannah wird das gar nicht gern sehen. Du warst ihre letzte Verbündete.«
Libby biss sich auf die Lippen. »Ich weiß, dass sie sauer sein wird. Ich glaube, tief in ihrem Innern weiß sie, dass sie mit Jonas zusammen sein sollte, aber sie kann ihn nicht akzeptieren. Er ist zu dominierend. Sie fürchtet, ihm nicht gewachsen
zu sein, und dass er mit der Zeit begreifen wird, dass sie nicht die starke Frau ist, die er sich anscheinend wünscht.«
»Hannah ist nicht schwach«, widersprach ihr Sarah sichtlich schockiert.
»Natürlich ist sie das nicht«, sagte Libby. »Aber Hannah hält sich selbst für schwach, und das ist das Einzige, was zählt. Sie ist anders als der Rest von uns, und das weiß sie. Sie war nie so wie wir.«
»Sie glaubt fest daran, dass wir alle Familien haben werden und sie allein in unserem Haus zurückbleibt«, fügte Elle hinzu. »Zwar macht sie sich darüber lustig und sagt, sie wird die verschrobene alte Dame mit den Katzen sein, aber tief in ihrem Innern findet sie das überhaupt nicht zum Lachen.«
»Außerdem isst sie kaum etwas«, sagte Libby. »Wir müssen einen Weg finden, wie wir ihr helfen können.«
»Joley versucht schon seit einer Weile, sie dazu zu bringen, dass sie ein bisschen mehr isst«, vertraute Sarah ihnen an.
»Ausgerechnet Joley?« Libby war im ersten Moment erstaunt, aber gleich darauf begriff sie, wie ähnlich das Joley sah. Sie hatte zwar immer eine große Klappe und spielte für die Massen und für ihre glühenden Fans die Rolle der Musikerin, aber sie liebte ihre Schwestern ebenso sehr, wie sie von ihnen geliebt wurde. Und es stimmte, Hannah war anders. Sie war die Zerbrechliche unter ihnen, auch wenn sie es bis zu ihrem letzten Atemzug bestreiten würde. »Ja, natürlich, ich hätte mir ja denken können, dass es ihr zuerst aufgefallen ist und sie versucht hat, etwas dagegen zu unternehmen. Zu wie vielen Unfällen ist es seitdem in der Küche gekommen?«
Alle drei Schwestern lachten, und das trug dazu bei, die furchtbare Anspannung zu mildern. Libby atmete erleichtert auf, als das Haus in Sicht kam. Es war zu ihrem Empfang strahlend hell erleuchtet und die schweren Torflügel standen weit offen. Hannah und Joley erwarteten sie mit besorgten Mienen auf der breiten Veranda, und sogar Sarahs Wachhunde
rannten im Kreis und bellten, um sie willkommen zu heißen. Sowie Libby aus dem Wagen gestiegen war, hätten Hannah und Joley sie fast umgeworfen, als sie
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