Gezeiten der Sehnsucht - Feehan, C: Gezeiten der Sehnsucht - Dangerous Tides (4 - Libby)
Mensch, der sich für ihn einsetzen, ihm den Rücken stärken und ihn unterstützen wird. Er hat nicht alles verloren. Es kommt ihm nur im Moment so vor. Aber er ist stark, und eines Morgens wird er erwachen und wissen, dass du alles für ihn bist. Und dann wird er zu dir zurückkommen. Daran musst du glauben.«
Libby war sich nicht so sicher. Sarah hatte Tyson nicht gesehen. Sie hatte weder in seine Augen geblickt noch seinen Schmerz empfunden. »Er hat sich kein einziges Mal nach mir umgesehen, als er fortgegangen ist«, flüsterte sie.
Sarahs Wachhunde sprangen die Stufen zum Wohnzimmer hinunter und winselten vor der Haustür. Sarah sah Kate an und zog eine Augenbraue hoch. Sie trat ans Fenster und schaute hinaus. »Libby. Draußen läuft ein Mann herum. Er wirkt sehr einsam und verloren … und er sieht ganz nach Tyson aus.«
Libby sprang auf und eilte ans Fenster. Ihre Schwestern drängten sich hinter ihr. Auf dem Pfad, der zum Strand hinunterführte, stand ein Mann, der die Hände in den Taschen hatte und aufs Meer hinausblickte. »Das ist Ty. Ich muss zu ihm gehen.«
Libby drückte ihren Schwestern die Hände, bevor sie aus dem Haus rannte.
Tyson stand da und blickte aufs Meer hinunter. Seine große Gestalt zeichnete sich als Silhouette gegen den Himmel ab, und die Brise fuhr durch sein Haar. Er hatte ihr sein Profil zugewandt,
und sie konnte den erbarmungslosen Kummer sehen, der so tief in seine Gesichtszüge gemeißelt war. Er wandte ihr sein Gesicht zu, als hätte er ihre Gegenwart wahrgenommen.
Ihr Herz blieb fast stehen. Die Wogen von Leid, Zorn und Verwirrung, die er ausstrahlte, überwältigten sie. Er wirkte total niedergeschlagen, und der Schmerz über seinen Verlust und Sams Verrat hatte Verheerungen in seinem Gesicht angerichtet.
Alles, was sie war – die Heilerin, seine Geliebte, Freundin und die Frau in ihr – reagierte auf seinen Anblick mit so tiefem Mitgefühl, dass sie gegen die Tränen ankämpfen musste.
»Libby.« Er sprach ihren Namen aus wie eine Zauberformel, als sei er ein schützender Talisman.
Sie ging auf ihn zu und schlang stumm die Arme um ihn. Tyson begrub sein Gesicht an ihrem Hals. Ein Schauer überlief ihn, und er hielt sie so fest, dass sie blaue Flecken bekommen würde. Ein gepeinigtes Schluchzen löste sich aus seiner Kehle. Libby schloss die Augen, als sie seine Tränen auf ihrem Hals fühlte.
»Ich bin da, Ty. Ich werde immer für dich da sein«, flüsterte sie, während auch ihr Tränen über das Gesicht strömten. Sie hielt ihn in ihren Armen und ließ ihn weinen, bis sein Kummer ihn erschöpft hatte.
Tyson richtete sich auf, sah sich um und blinzelte, als hätte er keinen Schimmer, wie er hierher gekommen war.
»Komm, lass uns zum Strand hinuntergehen«, drängte sie ihn, da sie wusste, dass er sich ihrer Familie in diesem Zustand nicht zeigen wollte.
Tyson nahm sie an der Hand, als sie Seite an Seite über den Sand liefen und Wolken über sie hinwegzogen. So weit das Auge reichte, setzte das Meer seinen immer währenden Rhythmus der Gezeiten fort. Sie liefen eine Meile, ehe sie miteinander sprachen.
»Ich wusste nicht, wohin sonst ich hätte gehen können, Libby. Das Haus ist abgebrannt. Sam ist tot. Ich wusste nicht, wohin
mit mir. Ich habe stundenlang in der Leichenhalle gestanden und seine Leiche angestarrt, ohne zu wissen, was ich als Nächstes tun sollte.«
Der Wind streifte ihre Gesichter, zerzauste ihnen das Haar und zog an ihren Kleidungsstücken, als sie ihren Weg über den Strand fortsetzten. Über ihren Köpfen schrie eine Möwe.
»Warum habe ich es nicht gewusst? Angeblich bin ich ein Genie, und dann hatte ich auf einmal keine Ahnung, was ich tun sollte. Ich habe nichts gemerkt. Er brauchte Hilfe. Wie konnte ich nur so verflucht blind sein, dass mir das entgangen ist?«
Sie blieb stumm, denn sie wusste, dass er jetzt reden und eine Lösung für sich selbst finden musste. Ihn traf keine Schuld. Sam war ein Psychopath. Niemand, der ihm nahe stand, hatte es gewusst – oder auch nur geahnt. Selbst wenn Tyson es gewusst hätte, hätte er ihm nicht helfen können, ganz gleich, wie klug er war. Sam war nicht mehr zu helfen gewesen.
Tyson blieb abrupt stehen, drehte sich zu ihr um und fuhr sich mit beiden Händen durchs Haar. »Ich habe ihn im Stich gelassen. Ich habe nicht gesehen, was sich vor meinen Augen abgespielt hat. Ich war viel zu sehr mit meinen Forschungen beschäftigt, und es hat mir nichts ausgemacht, dass er Geld aus dem Nachlass
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