Gezeiten der Sehnsucht - Feehan, C: Gezeiten der Sehnsucht - Dangerous Tides (4 - Libby)
stiehlt. Ich habe ihn nicht ein einziges Mal deswegen zur Rede gestellt. Das hätte ich tun müssen, Libby. Ich dachte, es spielt keine Rolle, aber ich hätte ihn darauf ansprechen müssen. Ich habe die Dinge aus dem Ruder laufen lassen.«
Sie legte stumm ihre Hand auf sein Herz und fühlte seine unendliche Trauer. Als Heilerin wollte sie ihm all diesen Schmerz nehmen. Als Frau, die ihn liebte, ließ sie ihn reden und ihn seinen eigenen Weg aus dieser furchtbaren Situation finden. Es war einer der schwierigsten Momente, die sie jemals durchlebt hatte.
»Sam hat diese Männer dafür bezahlt, dass sie ihn zusammenschlagen. Jackson hat sie gefunden. Sam hat sie selbst engagiert.
Mein Gott.« Er schüttelte den Kopf. »Ich habe ihn im Stich gelassen, Libby. Und dasselbe könnte mir mit dir passieren.«
Die Schläge, die er in den letzten Tagen eingesteckt hatte, waren Schwindel erregend. Durch seine eigene Blindheit hatte er Libbys Leben in Gefahr gebracht. Sein Leben lang hatte er Scheuklappen getragen, und jetzt war es zu spät. Sein einziger Angehöriger, auf den er immer gezählt hatte, war tot. Der Gedanke, Libby aus reiner Nachlässigkeit oder Dummheit ebenfalls zu verlieren, war ihm unerträglich. Angeblich war er ein Genie, doch ihm war nichts, aber auch gar nichts, aufgefallen.
Er nahm Libbys Gesicht in seine Hände. »Das würde ich nicht verkraften. Ich habe mir viele Gedanken über mein Leben und über diese letzten Wochen mit dir gemacht. Ich bin ein Wrack, das weiß ich selbst, und ich bringe so viele Altlasten mit, dass ich mir nicht vorstellen kann, weshalb du es mit mir versuchen solltest. Aber ich brauche dich, Libby. Ich schwöre es dir, ich stehe kurz davor, den Verstand zu verlieren. Ich brauche dich, Baby. Ohne dich weiß ich nicht weiter.«
Er hatte sich selbst darauf abgerichtet, fest daran zu glauben, dass er keinen Menschen brauchte, und doch kam er allein nicht zurecht und konnte keinen klaren Gedanken fassen. Sein ganzes Leben war über den Haufen geworfen worden. Er hatte ihr nichts mehr zu bieten, nicht einmal mehr seinen brillanten Verstand. Und der war im Moment so kaputt wie der Rest von ihm. Aber er brauchte sie, und wenn sie sich jetzt von ihm abwandte, dann hatte er keine Ahnung, was er tun würde. Er fühlte sich nackt und verletzbar, von allem entblößt, was er war und woran er glaubte. Seine Seele war zerfetzt.
Libby strich ihm mit einer solchen Zärtlichkeit die Tränen aus dem Gesicht, dass sich sein Innerstes nach außen kehrte. »Ich werde immer nur dich wollen, Ty. Ich liebe dich von ganzem Herzen, und ich setze absolutes Vertrauen in dich. Was auch immer passiert, gemeinsam werden wir es bewältigen.«
»Wie könntest du Vertrauen in mich setzen? Ich habe das
Vertrauen in mich selbst verloren. Du wärest durch meine Schuld beinah ums Leben gekommen. Als alles schon zu Ende war, bin ich noch umgekehrt, um ihn zu retten, und er hätte dich vor meinen Augen ermordet.« Er würde nie mehr in der Lage sein, nachts seine Augen zu schließen, ohne diesen Moment von neuem zu durchleben. »Ich konnte mich nicht aus der Öffnung hieven und rechtzeitig zu dir gelangen. Ich musste hilflos zusehen, wie er den Abzug betätigt hat.«
Libby nahm sein Gesicht in ihre Hände und zwang ihn, ihr in die Augen zu sehen. »Ich liebe dich, weil du ihn retten wolltest. Genau das zeigt, was für ein Mensch du bist, Ty. Das ist der Mann, in den ich mich verliebt habe und den ich immer lieben werde.«
»Bist du sicher, Libby? Ich weiß nicht, was zum Teufel ich dir zu bieten habe.«
»Ich weiß genau, was du mir zu bieten hast. Tyson, du bist alles, was ich mir jemals gewünscht habe. Niemand hat mir je das Gefühl gegeben, ein ganzer Mensch zu sein. Ich dachte schon, mit mir stimmt etwas nicht. Nur an deiner Seite fühle ich mich wirklich am Leben.«
Tyson schluckte schwer und drückte einen zarten Kuss auf ihre Lippen. Er kämpfte gegen seine Gefühle an.
»Ich liebe dich, Ty. Daran wird sich nichts ändern. Was Sam zugestoßen ist, war eine grässliche Tragödie, aber es ist nicht deine Schuld.« Die Wellen brachen sich schäumend auf dem Strand, als sie ihn wieder zu dem Pfad zog.
»Vielleicht nicht, Libby, aber es gab Anzeichen. Wenn ich ein anderer Mensch wäre und meinen Mitmenschen mehr Beachtung geschenkt hätte als meiner Arbeit, hätte ich es bemerkt. Er hat gespielt wie verrückt. Anfangs hat er die Kreditkarten benutzt und dann ist er an das Bargeld gegangen, das wir im Haus
Weitere Kostenlose Bücher