Gezeiten des Krieges
Inspektion von Soldaten oder das Säubern seiner Waffe verwandte. Er stellte das Tablett lautlos auf dem Schreibtisch des Legaten ab, plazierte zwei Untersetzer und stellte große, noch feuchte Gläser darauf ab. Eis klirrte leise in den Gläsern. Der Lieutenant verließ das Büro ebenso sorgfältig und präzise, wie er erschienen war.
»Ein guter Junge«, lobte ihn der Legat, nachdem sich die Tür geschlossen hatte. »Wird mal ein guter Offizier werden, wenn wir ihm erst diese AkademieErnsthaftigkeit ausgetrieben haben.«
Der erste Schluck war für Michaelson ein Genuss. »Wir waren alle mal wie er«, stellte er fest und entspannte sich für ganze drei Sekunden.
Doch das erinnerte ihn an die Zeiten, als er wie dieser Lieutenant gewesen war, voller fester Überzeugungen und Ideale, bereit, die Welt zu retten. Ideale waren gefährlich. Der Geschmack der Naranji wurde ihm im Munde bitter und er riss sich zusammen. Er konnte sich keine Entspannung erlauben. Niemals.
Er nahm noch einen Schluck, mehr der Form halber. »Diese Zwischenfälle, Legat. Das klingt nach Mückenstichen.«
»Aber wir müssen uns kratzen. Und es wird immer schlimmer, je länger wir von Terra und dem Exarchen abgeschnitten sind.«
Michaelson schwenkte das Eis im Glas. »Ich dachte, Liao ist ein Knotenpunkt des neuen Kurierdienstes.« Sprungschiffrouten mit planmäßigen Haltestellen hatten einen Teil der Aufgaben des verlorenen HPG-Netzes übernommen. »Wie heißt es noch? Der Solarexpress.«
»Das System ist noch lange nicht komplett. Mit den HPGs auf Genoa und New Aragon habe ich eine akzeptable Verbindung zu Präfekt Tao. Und das ist ein Glück. Diese hun dán Konföderation hat die gesamte Grenze in Aufruhr versetzt.« Es kostete ihn sichtlich Anstrengung, sich zu beruhigen. »Aber Informationen von Terra ... die kommen spärlicher.«
Jetzt begriff Michaelson allmählich, worum es hier ging. Einer der Punkte, die ihm die Aufmerksamkeit der Zöllner eingebracht hatten, waren seine gefälschten Militärpapiere gewesen, denenzufolge er von den
Hastati Sentinels in den Reservestatus ausgemustert worden war. »Sie wollen wissen, was auf Terra vor sich geht.«
»Wir müssen es wissen«, betonte Ruskov. »Es gibt Gerüchte, dass sich auf der Konföderationsseite der Grenze Truppen sammeln, und alles deutet darauf hin, dass Daoshen kommt. Wenn wir nicht auf Unterstützung von Terra und Präfektur X zählen können, weil sie mit dem Stahlwolf-Angriff ausgelastet sind, müssen wir das wissen, damit wir unsere Planung anpassen kö nn en.«
Also hatte er seiner Heimatwelt wieder geschadet, diesmal, ohne es zu wissen. Nun, Michaelson war gekommen, um ein neues Leben zu beginnen und alte Fehler gutzumachen. Konnte es einen besseren Start geben als den, sich das Ohr des Planetaren Legaten zu sichern?
»Ich werde Ihnen helfen, wo ich kann«, versprach
er.
Diesmal würde er es richtig machen.
Chang-an, Provinz Qinghai, Liao Präfektur V, Republik der Sphäre
Nach dem Gespräch mit Major Michaelson flog Viktor Ruskov mit einem Hubschrauber in den Weißturmdistrikt der Hauptstadt, wo im Zentrum des Planetaren Verwaltungszentrums der Gouverneurspalast stand. Es war tatsächlich ein Palast, ursprünglich als Sommerresidenz für den capellanischen Kanzler und andere Mitglieder Haus Liaos erbaut. Als sich die ländliche Umgebung zur Stadt wandelte und schließlich eine ausgedehnte Metropole wurde, hatte man großen Wert darauf verwendet, das Palastgelände und mehrere andere öffentliche Gebäude von der Stadt abzuschirmen. Eine große Mauer umgab den gesamten Distrikt und verwandelte ihn in eine verborgene Stadt in der Stadt.
Der Hubschrauber setzte auf einem weitläufigen Rasen hinter dem Palastbau auf. Die Rotoren drehten sich noch, als der Legat ins Freie sprang. Ruskov kannte sich im Gouverneurspalast bestens aus, denn er war schon weit länger in der Hauptstadt aktiv als Anna Lu Pohl im Amt. Als er sie fand, leitete die trotz ihrer asiatischen Abstammung sehr hoch gewachsene Gouverneurin gerade eine Unterredung in einem der vielen Großraumbüros. Mandrissa Anna Lu Pohl bevorzugte Han-inspirierte Kleider, angelehnt an die capellanische Kultur, die sie mit einem Großteil der Bevölkerung Liaos teilte. Sie saß zwischen mehreren Adjutanten, die sie mit schwer erarbeiteten Daten fütterten. Gouverneurin Lu Pohl zeichnete sich durch einen unstillbaren Hunger nach Informationen aus.
»Ärger?«, fragte er beim Anblick ihres wütenden
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