Gezeiten des Krieges
Löcher in das Stahlgerüst unter der Fassade.
»Vier ... drei ... zwei ...« Evan zählte die Sekunden
leise mit. Er zog den Fahrthebel des BattleMechs zurück und wechselte innerhalb von Sekunden von Höchstgeschwindigkeit zum Rückwärtsgang. Die Kanzel ruckte nach vorne und schleuderte Evan in die Gurte. Die ganze Kampfmaschine hätte sich der Länge nach auf die Straße gelegt, hätte sein wuchtiger Neurohelm nicht Evans natürlichen Gleichgewichtssinn an den riesigen Kreiselstabilisator des Donnerkeil gekoppelt. Er krümmte den Rücken und hob das Kinn, um den Schwerpunkt des Mechs zu verlagern.
»Eins.«
Der Donnerkeil trat zurück auf die Kreuzung, hob den rechten Arm und richtete das leichte Gaussge-schütz die Straße hinab auf die Konföderationseinheiten. Ein sperriger Shen Yi stampfte den Boulevard entlang, ein Schmitt -Sturmpanzer rollte neben dem BattleMech her und hinter dem Gespann folgten zwei Dämonen und Fa-Shih-Kröten. Eine von früheren Kämpfen zerbeulte Wespe sprang über ein nahes Gebäude, kam breitbeinig geduckt auf und verstellte dem Shen Yi den Weg.
Evans Fadenkreuz wechselte blinkend von Rot nach Gold und er drückte den Hauptfeuerknopf durch.
Hochleistungskondensatoren schütteten die gespeicherte Energie in Schleifen aus, die einen Magnettunnel erzeugten, dessen Feld die Nickeleisenkugel in der Kammer des Gaussgeschützes erfasste. Innerhalb eines Sekundenbruchteils wurde deren Masse auf Überschallgeschwindigkeit beschleunigt, raste die Straße hinab und schlug in das linke Knie der Wespe ein.
Die schiere Wucht des Treffers riss das Mechbein nach hinten. Funken sprühten aus dem zertrümmerten Unterschenkelaktivator. Als der capellanische Mech einen Schritt nach vorn tat, knickte das ganze Bein ein wie eine Ziehharmonika. Die Wespe kippte nach vorne und knallte bäuchlings auf den harten Straßenboden. Ein weiterer Funkenregen begleitete den gestürzten Mech, als er über den Straßenbelag rutschte, sich dabei auf den Rücken drehte und schließlich neben einem Bürogebäude liegen blieb.
Evan beschleunigte vorwärts und duckte sich wieder hinter eines der Häuser, um der Zielerfassung der Konföderationstruppen zu entkommen.
Der Shen Yi senkte den schweren Laser, um Megajoules gebündelter Energie in die Nacht zu schleudern. Eine orangerote Nachglut von Raketenflammen badete seine obere Torsohälfte, als er beide überschwere Lafetten abfeuerte. Der Schmitt hämmerte Kaliber-50mm-Granaten aus dem Geschützlauf. Nichts davon drohte ihn auch nur ansatzweise zu treffen. Aber bei diesem Konföderationsangriff auf Liao waren die feindlichen Soldaten darauf programmiert, ihren Zorn an zivilen Zielen auszulassen. Dunkle Fenster leuchteten auf, als das rote Feuer des Lasers das Gebäude füllte. Die Raketen schlugen auf mehreren Stockwerken ein und wurden zu lodernden Flammenbällen. Glas explodierte nach allen Seiten und ließ einen Scherbenregen auf die Straßen von Desu niedergehen.
Die historische Simulation war erstaunlich detailliert. Einseitig, aber ausgezeichnet programmiert.
Desu war eine der größeren Städte Nanlus, des südlichen Kontinents, und hatte 3111 nach dem so genannten Massaker von Chang-an die schlimmsten Zerstörungen erfahren. Die Residenz des Lordgouverneurs lag knapp außerhalb der Stadt. Sie war bereits zerstört gewesen, bevor die örtliche Miliz reagierte, und die Angreifer aus der Konföderation standen schon in den Außenbezirken der Stadt, wo sie alles einrissen und niederbrannten.
In Simulatorkapseln konnte man solche Gefechte immer wieder durchkämpfen und ausprobieren, was man hätte anders machen können. Was, wenn die Miliz ihre Kräfte im Norden gebündelt und eine Verteidigungslinie befestigt hätte? Was, wenn sie das capellanische Landungsschiff mit einer Flankenbewegung umgangen und angegriffen hätten?
Was, wenn ein einzelner MechKrieger die Hauptstreitmacht der Miliz mit Störangriffen unterstützt hätte?
Das war Evans heutige Mission. Er sollte die Angreifer bremsen, während andere Kadetten eine Schutzlinie um den dicht bevölkerten Nordsektor aufbauten. Er hatte seine Operationsbefehle erhalten, als er den >BattleMech< hochfuhr, die Kühlweste an das Lebenserhaltungssystem anschloss und zusammenzuckte, sobald der erste Schub Kühlflüssigkeit durch die dünnen Schläuche strömte, die in das Gewebe der Weste eingenäht waren. Luftdüsen an seinen Füßen pumpten glutheiße Luft in die Kapsel und simulierten die Innentemperaturen
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