Gezeitengrab (German Edition)
Augen sieht er Ruth eindringlich an. «Aber Sie wissen es, oder? Sie wissen, dass es Deutsche sind.»
Ruth seufzt. Eckhart weiß bereits so viel, dass Ausflüchte sinnlos erscheinen. «Ja», sagt sie. «Die mineralische Analyse der Knochen hat ergeben, dass die Toten höchstwahrscheinlich aus Deutschland stammen.»
«So, so», sagt Eckhart leise. Dann lächelt er Ruth an. Er ist wirklich sehr attraktiv. «Wenn das so ist, Doktor Galloway, dann kann ich Ihnen sagen, wer Ihre toten Soldaten sind.»
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12
«Der Adler ist gelandet» , sagt Nelson. «So heißt der Film. Michael Caine hat da mitgespielt. Wissen die wenigsten.»
«Der Film, den ich meine, war aber nicht mit Michael Caine», sagt Ruth. «Der war viel älter. Und schwarz-weiß. Ich war mit meinem Vater drin, als er mal auf einem Filmfestival lief.»
Nelson zuckt die Achseln. «Ich hab’s ja nicht so mit Filmen. Aber Michael Caine mag ich. Das ist wenigstens ein richtiger Schauspieler.»
Im Vergleich mit wem?, denkt Ruth. Aber es bringt nichts, weiter auf dem Punkt herumzureiten, und außerdem glaubt sie fast zu verstehen, was Nelson meint. Der wiederum legt deutliche Zeichen von Ungeduld an den Tag. Er hat nicht viel für Smalltalk übrig, und Ruth ist überzeugt, dass er nach ihrem Anruf nur so schnell gekommen ist, weil er gehofft hat, Kate zu sehen.
«Was hat dieser Journalisten-Heini denn nun gesagt?» Nelson schiebt seine Kaffeetasse beiseite und zückt sein Notizbuch.
«Er ist Militärhistoriker», sagt Ruth. «Und wie schon gesagt, er recherchiert über eine angebliche Invasion der Deutschen in Norfolk. Anscheinend ist im September 1940 ein sechsköpfiger Kommandotrupp des Brandenburger Regiments verschwunden. Es heißt, sie gehörten zu einer in Norwegen stationierten Einheit, die die Aufgabe hatte, sich auf das britische Festland zu schmuggeln und dort Erkundungen, Sabotageakte und so weiter durchzuführen. Er hatte die Namen und alles.» Ruth reicht Nelson ein Blatt Papier.
«‹Major Karl von Kronig›», liest Nelson vor. «‹Oberstleutnant Stefan Fenstermacher, Obergefreiter Lutz Gerber, Gefreiter Manfred Hahn, Gefreiter Reiner Brauer, Panzerfunker Gerhard Meister …› Ach du Schande! Kein Wunder, dass die mit solchen Namen den Krieg verloren haben. Da dauert ja schon der Appell Jahrhunderte. Was zum Geier ist denn ein ‹Panzerfunker›?»
«Der ist für den Funkverkehr zuständig», antwortet Ruth sachkundig, obwohl sie das deutsche Wort selbst erst seit ein paar Stunden kennt. «Und noch etwas solltest du wissen: Stefan Fenstermacher fehlte ein Finger.»
«Dann sind sie’s wohl», meint Nelson. «Glaubst du nicht?»
«Doch, ich glaube schon», sagt Ruth. «Alle Männer stammen aus der Gegend um Brandenburg, das passt zur Isotopenanalyse. Und einem der Toten fehlt ein Finger. Auch das Alter stimmt.»
«Bleibt also nur die Frage, wieso ein sechsköpfiger deutscher Kommandotrupp unter den Felsen von Broughton Sea’s End verbuddelt wird?»
«Meinst du, Archie Whitcliffe wusste etwas darüber?»
«Ja, schon», sagt Nelson zögernd. «Nur ist er leider gestorben, bevor wir mehr erfahren konnten.»
Ruth mustert ihn fragend. «Glaubst du wirklich, es ist etwas faul an seinem Tod?»
Nelson seufzt. «Keine Ahnung, Ruth. Ein alter Mann stirbt, es gibt keine Auffälligkeiten, der Arzt unterschreibt den Totenschein gleich an Ort und Stelle. Aber ich weiß auch nicht … Am Tag davor hat er mehr oder weniger zugegeben, dass er etwas über die Toten weiß. Er meinte, er kann mir nichts sagen, weil er einen ‹Blutschwur› geleistet hat. Und am nächsten Tag ist er tot. Da muss man nicht gerade Poirot sein, um das irgendwie verdächtig zu finden.»
«Wahrscheinlich findest du es gleich noch viel verdächtiger», sagt Ruth. Und erzählt ihm von Hugh P. Anselm.
«Hugh», wiederholt Nelson gedehnt. «Das ist einer von den Namen, die Mrs. Hastings erwähnt hat. Einer der drei Jungspunde aus der Truppe. Warte mal … tot auf dem Treppenlift …» Einen Moment lang denkt er schweigend nach.
«Was denn?», fragt Ruth.
«Ich weiß nicht. Irgendwo klingelt’s da bei mir. Ich glaube, ich fahre mal in diese Seniorenresidenz und rede mit dem Hauswart. Und ich werde Archie Whitcliffe obduzieren lassen. Das gibt natürlich einen Mordskampf mit Whitcliffe.»
«Aber warum denn? Will er nicht auch wissen, ob sein Großvater vielleicht ermordet wurde?»
Es ist das erste Mal, dass einer von ihnen das Wort «Mord»
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