Gezeitengrab (German Edition)
Rosen, eine Sonnenuhr, Buster und Irene auf Liegestühlen mit Martini-Cocktails in der Hand, der Blick auf die Bucht. Ob Jack wohl gezwungen sein wird, das Haus zu verlassen, das sein Vater gebaut hat? Dann wird er allerdings endgültig stinksauer werden. Genügt vielleicht der drohende Verlust des Hauses, Jack Hastings zum Mörder zu machen?
Wie immer wechselt Rebecca auf der Suche nach Material zwischen zahllosen Internetseiten hin und her. Sie ist eine große Cut-and-Paste-Expertin. Nelson kann nur hoffen, dass das ihren Lehrern für die Abschlussprüfung reicht. Er selbst kann ihr kaum folgen: Sie liest mal hier, mal da, markiert etwas, kopiert es in ihre Textdatei, sucht nach Abbildungen …
«Warte mal kurz!»
«Was denn?» Sie hält mitten im Klicken inne.
«Die letzte Seite da. Irgendwas von wegen Krieg.»
«Ach so … Meinst du ilovehistory.com?»
«Kann gut sein. Kannst du da noch mal zurückgehen?»
Folgsam sucht Rebecca die Seite wieder heraus und vergrößert sie so, dass er sie mit seinen schlechten Augen lesen kann.
Die Verteidigung der Küstengebiete, liest er, umfasste unter anderem fünfzig Tonnen Treibstoff, die in den seichten Gewässern der Nordsee in die Luft gesprengt werden sollten. Als Vorbild dieser Operation dienten die Feuerschiffe, die Francis Drake gegen die Armada einsetzte …
Nelson geht in die Küche, um Ruth anzurufen, und stellt nebenbei den Wasserkocher an. Es dauert eine Weile, bis sie abnimmt, und sie klingt abgehetzt. Im Hintergrund hört er Kate brüllen.
«Hallo, Ruth. Hast du schon irgendein Ergebnis von diesem Material, das ihr in dem Ölfass gefunden habt?»
«Ja. Ich hatte dir doch den Bericht geschickt.»
«Sag’s mir noch mal.»
«Das war Schießwolle. Mit Salpeter- und Schwefelsäure getränkter Baumwollstoff. Der Stoff wird mit den Substanzen präpariert und anschließend getrocknet. Dadurch wird er hochgradig entflammbar.»
«Das denke ich mir.»
«Anscheinend gibt es eine Mordsexplosion, wenn man das anzündet. Jules Verne verwendet in einem seiner Bücher Schießwolle, um eine Rakete zu zünden.»
«Und was war in den anderen Fässern?»
«Ein Gemisch aus Teer, Kalk und Benzin.»
Der ganze Strand von Broughton Sea’s End, denkt Nelson, während er seinen Tee trinkt, war eine einzige große Wasserbombe. Die Home Guard hatte den potenziellen deutschen Eroberern einen Willkommensgruß vorbereitet, der sie geradewegs ins Weltall katapultiert hätte. Stammte die Idee von Ernst, dem schlauen Wissenschaftler? Ein Deutscher, der den Großteil seines Lebens in Broughton Sea’s End verbracht hat. Ein Deutscher, der alles tat, was er konnte, um die Nazis zu besiegen. Vielleicht war er ja ein deutscher Jude … Nelson weiß, dass zu Beginn des Krieges alle möglichen Leute interniert wurden: Alte, Junge, Juden, Kommunisten – lauter Menschen, die niemals irgendeinen Grund gehabt hätten, sich auf die Seite der Nazis zu schlagen. Wie war Ernst überhaupt nach Broughton gekommen? Und wie war die enge Verbindung zu Buster Hastings entstanden? Buster hat einen solchen Aufstand gemacht, dass er wieder freigekommen ist. Weshalb war es Buster so wichtig, Ernst bei sich zu haben?
Und wieso waren die Verteidigungslinien nicht losgegangen, als tatsächlich sechs Deutsche an Land gingen? Die Männer waren aus kurzem Abstand erschossen worden, es gab keinerlei Hinweis auf einen Kampf. Irgendwie musste es Buster und seiner schon recht betagten Truppe gelungen sein, sechs Soldaten in bester körperlicher Verfassung zu überwältigen. Aber wenn ihnen das schon gelungen war, wozu sie dann noch töten? Sie hätten die Männer doch auch einfach gefangen nehmen können. Nelson kennt sich mit militärischen Dingen nicht besonders aus, aber ist es nicht wichtig, Gefangene zu machen, damit man sie hinterher verhören kann? Die deutschen Soldaten haben ihren Invasionsplan nie preisgegeben. Ihr Geheimnis ist mit ihnen in den Tod gegangen und unter der Felswand begraben worden, bis das Meer alles wieder aufgedeckt hat.
Nelson sitzt immer noch in der Küche, als Michelle heimkommt, müde nach einem langen Arbeitstag und sichtlich verärgert, dass sich noch keiner ums Abendessen gekümmert hat.
Nach dem Essen schauen Michelle und Rebecca gemeinsam CSI Miami – Frauenverbrüderung beim Anblick verstümmelter Leichenteile –, und Nelson flüchtet sich ins Arbeitszimmer. Er gibt Zweiter Weltkrieg+Invasion in die Suchmaschine ein, und gleich darauf ist der Bildschirm voll
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