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Gezeitengrab (German Edition)

Gezeitengrab (German Edition)

Titel: Gezeitengrab (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elly Griffiths
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gehört.
    «Eigentlich müsste ich längst im Ruhestand sein», sagt er und stellt zwei dampfende Becher auf eine Umzugskiste mit der Aufschrift «Palmzweige». «Aber Pfarrer sind heutzutage Mangelware.»
    «Haben Sie irgendwelche Geschichten über die Kriegsjahre in Broughton gehört?» Nelson legt eine Zeitschrift beiseite, die praktisch nur aus Trockenei-Rezepten besteht.
    «Die eine oder andere», antwortet der Pfarrer zögernd. «Die Leute sind verschlossen hier in der Gegend, sie reden nicht viel mit Fremden.» Er lacht. «Und selbst nach mehr als fünfzig Jahren bin ich immer noch ein Fremder.»
    « ‹Sea’s End House von der Armee requiriert› », liest Nelson vor. « ‹Buster Hastings, Captain der Local Defence Volunteers, bestätigt, dass sein Haus für geheime Kriegseinsätze zur Verfügung stehen soll.› Wissen Sie, worum es dabei ging? Die Local Defence Volunteers waren doch der Vorläufer der Home Guard, oder?»
    «Das stimmt. Buster Hastings hatte das Kommando über die Home Guard. Ein ziemlicher Zuchtmeister, nach allem, was ich gehört habe. Über die geheimen Kriegseinsätze weiß ich nicht viel, aber jemand hat mir mal erzählt, dass das Haus als Beobachtungsposten diente, um das Meer im Blick zu behalten. Damals war natürlich auch der Leuchtturm noch in Betrieb, es gab ein Warnsystem aus Lichtsignalen. Und dann war da noch der Horchposten auf dem Beeston Bump.»
    «Beeston Bump?» Judy versucht ohne viel Erfolg, sich ein Kichern zu verbeißen.
    «Toller Name, nicht?» Father Tom lächelt und zeigt dabei seine langen gelben Zähne. «Es ist eine Anhöhe außerhalb von Sheringham. Dort war der offizielle Horchposten eingerichtet. Hübsches Fleckchen. An Ostern halten wir da immer Freiluftmessen ab.»
    «Klingt schön», meint Nelson. «Wie gut kennen Sie denn die Familie Hastings?»
    «Recht gut.» Father Tom trinkt von seinem Kaffee. Nelson probiert seinen: Er schmeckt ausgesprochen scheußlich. «Buster ging nicht gerade häufig zur Kirche, aber seine Frau Irene war viele Jahre lang eine Stütze unserer Gemeinde. Sie kümmert sich immer noch um die Blumen.» Judy hebt sich diesen Informationsschnipsel für später auf.
    «Und wie steht’s mit Jack Hastings?», fragt Nelson.
    «Er unterstützt uns immer bei unseren Wohltätigkeitsprojekten. Der Turm braucht ein neues Dach. Es ist in einem schrecklichen Zustand. Seit Jahren sammeln wir schon, aber wir sind immer noch nicht bei der nötigen Summe. Doch Gott der Herr gibt so schnell nicht auf. Jack kommt selten in die Messe, aber Stella, seine Frau, nimmt regelmäßig die Kommunion. Eine gute Frau.»
    Nelson spürt, dass das aus Father Toms Mund ein großes Lob ist. Offenbar delegieren die Hastings-Männer den Kirchenbesuch traditionell an ihre Frauen.
    «Und Archie Whitcliffe?», fragt er weiter. «Kannten Sie ihn?»
    «Archie?» Father Toms Miene wird weicher. «Ein großartiger Kerl. Früher, als wir den Glockenturm noch benutzen konnten, war er einer unserer Glöckner. Es hat mir sehr leidgetan zu hören, dass er abberufen wurde.»
    Abberufen. Seltsamer Ausdruck, sogar für einen Pfarrer.
    «Wie haben Sie denn davon erfahren?», fragt Nelson.
    «Sein Enkel hat mich angerufen. Ich sollte die Beerdigung abhalten, aber wie ich höre, gab es da wohl Verzögerungen.»
    Sein Blick wandert von Nelson zu Judy, die immer noch über Tanztees in Kriegszeiten liest und darüber, wie man sich im Garten ein Schwein hält. Trotz seines Alters – er muss mindestens achtzig sein – wirkt Father Tom ausgesprochen scharfsinnig.
    «Richtig.» Nelson richtet sich wieder auf. «Können wir die Zeitschriften mitnehmen?»
    Draußen auf dem Friedhof fällt Judy wieder ein, dass sie bei Buster Hastings’ Grab vorbeischauen wollte. Die Rosen sind verschwunden, dafür steht ein Strauß Frühlingsblumen dort, der von einer Strohschleife zusammengehalten wird. Irgendwer im Dorf hält den Zuchtmeister offenbar in liebevoller Erinnerung. Nelson und Father Tom sind vor dem Kriegergedenkstein stehen geblieben. Nelson überfliegt die Namen: Die meisten sind im Ersten Weltkrieg gefallen, nur wenige im Zweiten. Einer der letzten Namen, Geoffrey Austin, kommt ihm bekannt vor. Hatte nicht ein Mitglied der Home Guard einen Sohn, der in Dünkirchen gefallen ist?
    «Ich versuche gerade, einen neuen Namen hinzufügen zu lassen», erzählt Father Tom. «Ein junger Mann aus dem Dorf ist in Afghanistan gefallen. Der Kriegsgräber-Ausschuss ist nicht gerade begeistert, aber ich

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