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Ghetto-Oma: Ein Leben mit dem Rücken zur Tafel

Ghetto-Oma: Ein Leben mit dem Rücken zur Tafel

Titel: Ghetto-Oma: Ein Leben mit dem Rücken zur Tafel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frl. Krise
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möglich mit ihrem Boyfriend ins gelobte Land abzusetzen – glühend beneidet von all jenen, denen das noch nicht geglückt war.
    Der Weg war dann leider mehr oder weniger vorgezeichnet. Einige Jahre später kamen sie zurück, gezeichnet vom harten Leben in einer Wohnwagensiedlung oder einem verlassenen Kaff in den Weiten der USA, mit mehreren kleinen Kindern im Schlepptau. Ich erinnere mich an Sylvia, die sich aus Heimweh nach der Geburt jedes Kindes von ihren Eltern den Flug nach Deutschland finanzieren ließ. Aber nach kurzer Zeit hielt sie es bei den Eltern nicht mehr aus und entfloh in die Staaten. Erst nach dem dritten Kind blieb sie für immer in Deutschland, desillusioniert. Oder ihre Freundin Gloria. Sie kehrte mit zwei Kindern und ohne Zähne wieder. An ihre große Zeit in Amerika erinnerten nur noch die Namen ihrer Töchter: Samantha Sue und Abigail Tiffany.
    Alle diese jungen Frauen beklagten sich über harte Lebensbedingungen, einen verständnislosen und/oder arbeitsscheuen Ehemann und seine ablehnende Familie. Aber das konnte die nachwachsenden Generationen nicht davon abhalten, sich weiterhin in Amis ohne Berufsausbildung zu verlieben, sie zu ehelichen, ihnen ins gelobte Land zu folgen, dort Kinder zu gebären und in beklagenswertem Zustand zurückzukommen.
    Natürlich versuchten wir ihnen abzuraten, aber erzähle einmal einer verliebten Siebzehnjährigen etwas über das Leben!

Dass ich das noch erleben darf!
    G-e-l-o-b-t!
    Gelobt, gelobt, gelobt!
    Jawoll!
    Nach zwei langen, harten Jahren, in denen alle Kollegen nur kopfschüttelnd von meiner Klasse sprachen, wurde sie heute gelobt. Zuerst kam in der großen Pause die Sportlehrerin, Frau Fichte, die letztes Schuljahr schon alles hinschmeißen wollte, auf mich zu und sagte: «Du, Frl. Krise … (Ich zuckte schon weg) … das war heute eine richtig schöne Sportstunde bei deinen.» Ich glotzte sie verdattert an, doch sie fuhr fort: «Alle haben super mitgemacht, außer Jenny, die hatte angeblich Lungenentzündung, und Nesrin und Necla. Aber alle anderen – einwandfrei.» Sie lächelte mich an, biss zufrieden in ihre Vollkornstulle und ging weiter.
    Ich war echt gebügelt. Ich konnte mich gar nicht freuen vor Schreck. Normalerweise höre ich nämlich in der großen Pause immer nur Sätze wie diese: «Ein guter Tag! Mein Unterricht bei deinen fällt aus! Muss zum Zahnarzt, Gott sei Dank. Wurzelbehandlung.» Oder so etwas: «Ich geh sofort zur Schulleitung. Deine Klasse! Das lasse ich mir keine Sekunde länger bieten!» Manchmal fragte man mich auch: «Was ist bloß mit deinen los? Bekommst du die gar nicht mehr in den Griff?»
    Dann das nächste Lob nach der fünften Stunde: Ich kam gerade aus dem Kunstsaal und trudelte gemeinsam mit dem Erdkundelehrer Herrn Kröner die Treppe runter. Er klopfte mir leicht auf die Schulter und sagte irgendwie anerkennend: «Mensch, Krise, ich hatte gerade eine ganz normale Erdkundestunde in deiner Klasse. Zum ersten Mal! Na ja, fast ganz normal …»
    «Ehrlich jetzt?» Ich kriegte schon wieder das große Staunen.
    «Ja, wirklich, man konnte direkt mit ihnen arbeiten.»
    Ich gebe zu, es ging mir runter wie Honig, Öl und Schmelzkäse gleichzeitig. Beschwingt schwebte ich in der achten Stunde in meine Klasse, ich wollte sie loben, loben, loben und soooo nett sein wie noch nie.
    Ach, was soll ich sagen – dazu kam es leider nicht.
    Meine Superklasse hatte sich bei den beiden Kollegen wohl so verausgabt, dass für mich bloß noch das übliche Rambazamba übrig blieb.
    Aber beim Rausgehen sagte Nesrin ungewohnt liebevoll zu mir: «Tschüssi, meine Süße!» Und Jenny warf mir eine Kusshand zu.
    Hallo?

Aynur und Herr Sarrazin
    Aynur ist ein kluges Mädchen. Sie ist ja auch schon fünfzehn und liest ab und zu die Zeitung. Sie bildet sich ihre Meinung zwar nicht gerade mit der Süddeutschen oder der Zeit , aber immerhin.
    «Aynur, hast du mitbekommen, was der Herr Sarrazin in den letzten Tagen zum Thema Integration gesagt hat? Es stand davon ganz viel in der Zeitung», frage ich sie während der Hofpause.
    «Was Sarrazin?», mischt sich Necla ein. Sie sucht ein bisschen Anschluss bei Aynur, aber die ist an «voll Professor» nicht interessiert.
    «Halt’s M…, Spast», schnauzt Aynur, «liest du Zeitung, oder was?»
    «Niemals», flötet Necla und trollte sich.
    «Ich weiß nicht», fährt Aynur fort. «Von was hat der was gesagt?»
    «Integration, über Integration hat er was gesagt.»
    «Was das, Integration?»

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