Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ghetto-Oma: Ein Leben mit dem Rücken zur Tafel

Ghetto-Oma: Ein Leben mit dem Rücken zur Tafel

Titel: Ghetto-Oma: Ein Leben mit dem Rücken zur Tafel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frl. Krise
Vom Netzwerk:
Aynur steht auf der Leitung. Dann hellt sich ihr Gesicht auf:
    «Meinen Sie so was mit Behinderte? Mit I-Kinder?»
    I-Kinder, also Integrationskinder, sind für sie zum Beispiel geistig behinderte Kinder. In manchen Klassen haben wir welche. «Nein», sage ich und wundere mich. Kann es sein, dass sie noch gar nichts davon gehört hat? Auch nicht zu Hause? «Es geht um die Integration in die deutsche Gesellschaft von Leuten, die türkischer oder arabischer Herkunft sind, du weißt schon, Migranten.»
    «Ach so.» Aynur guckt leicht kariert. «Was soll sein mit denen?»
    «Du hast also nichts über den Herrn Sarrazin gelesen oder ihn im Fernsehen gesehen?»
    Aynur schüttelt unwillig den Kopf. «Nein, interessiert mich nicht, so was.»
    «Aber du hast auch türkische Wurzeln!»
    «Ja, ich bin Türkin», bestätigt Aynur.
    «Und du hast einen deutschen Pass», erinnere ich sie.
    «Ja, schon …» Aynur findet, dass das Gespräch eine für sie ungünstige Wendung nimmt; man sieht es ihr an.
    «Was ist denn mit den Mann, Sarzin, oder wie der heißt?» Sie versucht mich auf die Ausgangsfrage zurückzulenken.
    Hätte ich bloß nichts gesagt! In den fünf Minuten bis zum Klingeln würde ich es zwar noch mühelos schaffen, Aynur mit Sarrazins Äußerungen auf die Palme zu bringen, könnte dann aber nichts mehr zurechtrücken. Mist.
    «Ach, es klingelt ja gleich», sage ich feige. «Wir haben doch Montag Klassenarbeitsstunde, da können wir uns weiter darüber unterhalten. Kannst bis dahin ja mal Nachrichten gucken.»
    «Okay.» Aynur nickt. Dann fragt sie plötzlich: «Oder meinen Sie, was der eine gesagt hat, dass Türken dümmer sind?» Jetzt nicke ich, etwas beklommen.
    «Ach.» Aynur ist großzügig. «Woher soll der das überhaupt wissen? Ist der Lehrer, oder was?»
    «Nein, der arbeitet bei einer Bank, glaube ich.»
    «Na ja.» Aynur schüttelt den Kopf. «Dann weiß der das nicht. Bei uns sind doch die Deutschen am schlechtesten. Also, Jenny und Hanna, mein ich.»
    Wo sie recht hat, hat sie recht.
    Aynur lächelt zufrieden, beißt in ihr Fladenbrot und trollt sich.

Von Küssen und Kuchen
    Ja, Herr Sarrazin, Integration war das heute nicht gerade … Zuckerfest, das Fest zum Ende des Ramadans, spaltete unsere Schülerschaft. Die muslimische Belegschaft hatte frei, und die anderen hatten Unterricht. In meiner Klasse saßen nur Jenny und Hanna, beide müde und beide extrem schlecht gelaunt.
    «Weihnachten und Ostern haben doch auch alle frei! Voll gemein!» So oder ähnlich klang es aus dem Mund sämtlicher nichtmuslimischer Schüler, die an diesem Dienstag entweder in kleinsten Grüppchen ziemlich locker unterrichtet wurden oder lustlos mit einer Überzahl Lehrer in bildungstechnischer Absicht durch den Kiez und den Regen latschten.
    In der Schule war es gespenstisch still, nur im Lehrerzimmer war es rappelvoll. Herrlich! Aber alle waren sich einig: Jeden Tag wäre das nix. Eine Schule ohne Schüler ist wie ein Schwimmbad ohne Wasser.
    Mittags, als ich nach Hause gehe (ja, schon mittags), hocken Ömür und Emre vor der Schule auf der Steinumfassung eines Baumes im kühlen Dauerregen und gucken trübe vor sich hin.
    «Raus mit euch, auf die Straße», hatten ihre Mütter bestimmt gesagt, und da saßen sie nun. Obdachlos. Die Schule bot ihnen heute kein Asyl.
    «Was das?», frage ich im Vorübergehen. «Geht das Zuckerfest feiern, Jungs! Das Ende der Fastenzeit!»
    Die Jungs brummen etwas Unverständliches.
    «Habt ihr schon Hände geküsst?», frage ich weiter.
    «Ja, ham schon Geld bekommen», antwortet Ömür mürrisch, und Emre murmelt: «Wir gehen noch weiter zu Onkels und so.»
    Das Händeküssen der verehrten älteren Verwandtschaft wird mit Geld versüßt – aber es scheint nicht sonderlich beliebt zu sein. Die Mädchen gruselten sich jedenfalls schon gestern davor. Aber das schöne Geld! Da überwindet man sich doch letzten Endes, gibt sich einen Ruck und küsst, was das Zeug hält. Morgen werden sie dann stolz vorweisen, was sie abkassiert haben – falls sie morgen in die Schule kommen. Schließlich dauert das Fest eigentlich drei Tage, und der Freitag bietet sich doch nun wirklich als so eine Art Brückentag an …
    So, und ich trinke jetzt gleich eine schöne Tasse Kaffee und esse mindestens zwei Stück Kuchen, denke ich, als ich mich auf mein Rad schwinge, schließlich ist Zuckerfest!
    Mir soll keiner vorwerfen, ich würde nicht an der Integration arbeiten.

Die Verwandlung
    Ich glaube, ich bin eine

Weitere Kostenlose Bücher