Ghetto-Oma: Ein Leben mit dem Rücken zur Tafel
sich zu vergewissern, dass sich ja kein Härchen selbständig gemacht hat. Das Ganze natürlich unter voll hysterischem Geschrei! Vallah, ich komme mir vor wie bei Germanys Next Topmodel , und würde im nächsten Moment Heidi Klum um die Ecke marschieren, würde ich mich kein bisschen wundern und glatt mitkreischen.
Dann dürfen wir endlich in die Aula. Die Fotografin stellt uns fix in drei Reihen auf – man merkt, dass sie’s draufhat, große Gruppen zu arrangieren. Ich soll neben Erkan stehen, der plötzlich oben herum bloß noch sein Unterhemd trägt. Er findet das männlich – und ich etwas peinlich.
Die Mädchen lächeln betörend, die Jungen präsentieren sich cool und gangstamäßig, und Karl und ich gucken wie immer leicht kariert. Dann sagen wir wie verlangt alle brav «Whiskey». «Cheese» scheint aus der Mode gekommen zu sein.
So, jetzt die Einzelfotos. Das dauert, die Mittagspause verrinnt …
Ich liebe diese Porträts. Es ist so lustig zu sehen, wie sich die Schüler verändern – die ganze Schulzeit wird in den jährlichen Bildern wie im Zeitraffer festgehalten. Und wie hübsch und vital sie alle auf den Fotos aussehen! Ihnen scheinen die Hormone aus jeder Pore ihrer prallen Haut zu dringen. Letztes Jahr war ich echt ein bisschen erschrocken, wie sexy die Mädchen wirkten.
Am Ende des Shootings stellt die Fotografin die Frage, auf die ich jedes Jahr mit einem festen Nein antworte: «Möchten Sie sich auch einzeln fotografieren lassen, Frl. Krise?»
Niemals. Ich werde doch nicht meinen galoppierenden Verfall dokumentieren!
Ömür blickt durch
Ömür, ach, ohne meinen Ömür würde ich meine Klasse auf den Mond schießen. Aber Ömür reißt alles raus. Und Emre natürlich, die beiden sind echt süß! Obwohl sie so verschieden aussehen, sind sie wie siamesische Zwillinge. Sie machen alles gemeinsam. Sie sitzen nebeneinander, sie arbeiten zusammen, ja, sie wohnen sogar in einem Haus.
In der Klassenarbeitsstunde unterhalten wir uns. Emre hat gehört, dass ein Mann auf ein U-Bahn-Gleis gestürzt sei und sich dabei tödlich an einer Stromleitung verletzt habe. Solche Unfälle entzünden die Phantasie meiner Schüler aufs schönste, und alle schreien begeistert durcheinander. Fuat behauptet, die U-Bahn führe nicht mit Strom. Wie jetzt? Vielleicht mit Benzin oder Koks?
Ich versuche mich zu erinnern, ob der Strom unten im Gleisbett (nennt man das so?) herumliegt oder mehr an der Wand, aber dummerweise weiß ich es auch nicht so genau.
Ömür klärt uns auf: «Da ist nur ganz bisschen Strom in der Schiene», sagt er wichtig.
«Woher weißt du das?», frage ich beeindruckt und erwarte schon die Antwort «Von Galileo ».
Aber nein, Ömür hat einen Selbstversuch gemacht. «Ich war U-Bahn», sagt er, «und bevor U-Bahn kam, hab ich auf die Gleise gespuckt. Aber Spucke hat gar nicht gebruzzelt!»
Ömürs berufliche Zukunft ist vorgezeichnet. Er will Polizist werden, erzählt er. Aber er ist klein und dick. Wenn er rennt, bekommt er sofort Seitenstechen und heiße Füße.
«Du bist doch ziemlich unsportlich», stelle ich fest. «Das wird ja schwierig, wenn du hinter einem Verbrecher herlaufen musst.»
«Das macht Emre.» Ömür grinst. «Der wird ja auch Polizei. Wir fahren zusammen Polizeiauto. Emre rennt, und ich schreibe auf.»
Solche Pläne sind doch hundertmal besser als das, was Erkan in diesem Zusammenhang von sich gibt: «Ich mache mich selbstverständlich und werde Routenplaner.»
Wir alle: « ??????»
Durch längeres Befragen kam schließlich heraus, dass er selbständiger Architekt werden will.
Wenn Ömür nur nicht so schusselig wäre. Muss man bei der Polizei nicht ein gutes Gedächtnis haben? Er wird bestimmt immer vergessen, wen er gerade verhaften wollte, und lieber gemütlich einen Döner essen gehen.
Neulich, als er mal wieder nur die Hälfte seiner Sachen dabeihatte, meinte ich betont milde: «Hör mal, Ömür, hast du Alzheimer?»
«Nee», sagte Ömür erstaunt. «Ich bin bei O two.»
Unkraut vergeht nicht
Bislang habe ich einen geradezu verdächtig ruhigen Schultag, weil ich in zwei Klassen Deutscharbeiten schreiben ließ. Ausgeruht beginne ich den Nachmittagsunterricht, und auch wenn es hoch hergeht im Ethikunterricht (Thema: Partnersuche), so denke ich doch, als ich meinen Klassenraum verlasse und elastisch die Treppe runterhüpfe: Och, das ging ja mal alles glatt heute – war direkt erholsam.
Eine Kollegin spricht mich im ersten Stock an, um mir mitzuteilen,
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