Ghetto-Oma: Ein Leben mit dem Rücken zur Tafel
dass falsche Deutschbücher geliefert worden seien und dass …
Haaaaaaatschiiiii!
Was wir jetzt mit den Büchern machen werden, verstehe ich nicht, weil ich tierisch niesen muss. Und noch mal und noch mal und noch mal; es hört gar nicht mehr auf.
«Bist du erkältet, oder hast du eine Allergie?», fragt die Kollegin.
Ich schüttele wild den Kopf.
Hatschiiiiii! Hatschiiiiii! Haaaatschiiiiii! Antworten kann ich nicht.
Das Geniese lässt sich nicht abstellen, und ich lasse die Kollegin einfach stehen und flitze die Treppe runter, um in die Nähe eines Taschentuchs zu kommen.
Vor dem Lehrerzimmer stehen mehrere hustende Schüler, eine naseputzende Reinigungsfrau und ein weinender Hausmeister. Ich stürze ins Lehrerzimmer. Am offenen Fenster hängen röchelnd und schniefend Karl sowie Frau Herz.
«Was ist – Haaaaatschiiiiii – das?», frage ich, und Frau Herz erwidert mit Grabesstimme: «Kampfgas!»
«Na ja, wird wohl kein Massenvernichtungsmittel sein. Irgend so ein Spacko wird CS-Gas gesprüht haben», meint Karl und putzt sich schwungvoll die Nase.
Wir husten noch gemeinsam ein Weilchen, und plötzlich fällt mir das Buch Untergrundkrieg des japanischen Schriftstellers Haruki Murakami ein. So ähnlich war das damals in Tokio, denke ich, bei den Anschlägen in der U-Bahn, bloß dass hinterher alle tot waren. Manchmal habe ich einen Hang zur Hysterie … Mir ist ein bisschen komisch zumute, aber ich sage vorsichtshalber nichts, sondern beschließe, sofort nach Hause zu fahren. Nur raus aus der Gefahrenzone.
Gerade habe ich mir einen schönen Kaffee gemacht. Für einen Moment werde ich mich mit der Zeitung auf die Couch legen; ich habe Kopfschmerzen, und meine Augen tränen. Und um kurz nach sechs Uhr muss ich wieder los.
Zurück in die Schule.
Elternabend.
Was die Eltern wohl sagen würden, wenn ich mit einer Gasmaske käme?
Eltern sind auch nur Menschen
Die Eltern der Schüler meiner ersten Klassen – ob die mich richtig ernst nahmen? In Gesprächen mit ihnen hatte ich, und das sollte auch noch eine Weile so bleiben, das Gefühl, ich «spielte» Lehrerin. Und auf den Elternabenden fühlte ich mich wie eine Hochstaplerin.
Zum Glück hatte mich Frau Horn auch für diese Gelegenheiten mit einer Weisheit ausgestattet: «Wenn sie dir blöd kommen, Frl. Krise, also die Eltern, dann sagst du: ‹Glauben Sie Ihren Kindern nicht alles, was die Ihnen über mich sagen! Ich glaube den Kindern auch nicht alles, was sie über Sie erzählen!›»
Mit diesem weisen Satz im Gepäck überstand ich alle folgenden Elternabende. Ich habe mich übrigens nie getraut, ihn anzuwenden.
Nach so vielen Jahren Schuldienst wage ich zu behaupten: Die Eltern lassen sich in wenige Kategorien einteilen:
Die der leistungsstarken Schüler erscheinen regelmäßig, sogar uneingeladen. Sie wollen sich ein Lob abholen, das man ihnen auch gern spendet. Sie engagieren sich für die Schule und die Klasse und nerven nur wenig, weil sie glauben, sie hätten – im Gegensatz zu uns Lehrern – pädagogische Rezepte, mit denen sie aus allen unseren Schülern im Handumdrehen Vorzeigekinder machen könnten, wie es ihre eigenen sind.
Die Eltern der «normalen» Kinder begleitet man mehr oder weniger hilfreich bei der aufregenden Achterbahnfahrt durch die Pubertät. Man berät sich, auch telefonisch, bittet sich gegenseitig um Hilfe und teilt Krisen und Erfolge. Im Großen und Ganzen ist man miteinander zufrieden und freut sich gemeinsam, wenn’s halbwegs glimpflich vorüber ist.
Die schwierigen Schüler haben oft auch schwierige Eltern. (Nicht immer. Manchmal sind die Eltern auch ganz reizend, und man fragt sich, ob sie etwas in einem früheren Leben verbrochen haben.) In der Regel lässt sich bei den schwierigen Eltern folgende Choreographie beobachten:
Zu Beginn kommen sie und schimpfen auf die vorherige Schule und den alten Klassenlehrer, der ihr armes Kind nicht leiden konnte. Sie sind von dem neuen Lehrer begeistert und beteuern, niemals wäre Sohn/Tochter so begeistert in die Schule gegangen wie gerade jetzt nach dem Schulwechsel. Mit diesen Aussagen können sie aber nur die Lehrer-Anfänger blenden, die alten Hasen wittern gleich Ungemach. Und so ist es auch: Das Kind entfaltet langsam alle möglichen Untugenden, die Eltern jedoch lassen sich nicht mehr blicken. Manchmal über Jahre …
Dann haben sie – der Anlass ist oft marginal – einen oder mehrere druckvolle Auftritte, am liebsten gleich bei der Schulleitung oder
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