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Ghetto-Oma: Ein Leben mit dem Rücken zur Tafel

Ghetto-Oma: Ein Leben mit dem Rücken zur Tafel

Titel: Ghetto-Oma: Ein Leben mit dem Rücken zur Tafel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frl. Krise
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Veränderung auch mit der menschlichen Biologie zu tun: Vielleicht ebbt der pubertäre Wahnsinn langsam, ganz langsam ab. Vallah, das wäre voll mega-mies, wie meine Schüler zu sagen pflegen, wenn sie etwas super finden. Ich kann es noch nicht ganz glauben. Sollte die hormonelle Umstellung wirklich glücken und der hirnorganische Umbau sachte voranschreiten, könnten bessere Zeiten auf uns warten.
    Fragt sich nur, bei wem sich da etwas tut im Oberstübchen.
    Aynur flötete mir heute nämlich beim Rausgehen zu: «Frl. Krise, wissen Sie was? Sie sind voll nett in letzter Zeit. Tschüs und schönen Nachmittag.»

Disziplin und Deutschbuch
    Deutschbuch oder Bausteine heißen die Lesebücher von heute schön neutral. Das Lehrwerk, mit dem ich in den frühen Siebzigern anfing, in Deutsch zu arbeiten, hatte den Titel Kritisches Lesen .
    Dieses Lesebuch und ich, wir waren uns einig: Ein Stück Veränderung der Gesellschaft zum Besseren und Gerechteren hin wollten wir erzielen. Und deshalb freute ich mich, dass das Lehrwerk zügig zur Sache kam: «Erziehung = Manipulation?» lautete gleich die Überschrift der ersten Unterrichtseinheit.
    Die Schüler der fünften Klasse wurden hier mit anspruchsvollen Texten und Fragen konfrontiert, dazu ein Beispiel: «Wie können Disziplin und Gehorsam ohne Zwang erreicht werden? Diskutiere diese Frage im Stuhlkreis!»
    Es erwies sich als ein bisschen ungünstig, dass auch die schlaue junge Lehrerin (also ich) dieser Art Fragen unwissend gegenüberstand. Ja, wie sollte das gehen? Das war die Frage, die ich mir fast stündlich stellte. Bei mir herrschte ja nicht mal mit Zwang Disziplin!
    Aber versuchen wollte ich es natürlich schon. «Wir bilden einen Stuhlkreis!», rief ich frohgemut und glaubte, mich klar ausgedrückt zu haben. Die Schüler aber hörten in meinen Worten etwas anderes, nämlich eine Aufforderung, herumzurennen, mit Anlauf Tische gegeneinander krachen zu lassen und die Stühle möglichst laut hin und her zu schieben. Ach, auch die Choreographie einer solchen Ummöblierung musste erst noch erlernt werden …
    Endlich saßen wir in der geforderten Sitzordnung, aber die Diskussion der brennenden Frage, wie das denn nun funktionieren sollte – Disziplin ohne Zwang –, entgleiste mir natürlich völlig, da meine disziplinlosen Schüler alles taten, nur nicht das, was sie sollten, nämlich geordnet diskutieren.
    So ein Quatsch, dachte ich, jetzt müsste ich in meiner Klasse Ruhe und Ordnung erzwingen, um anschließend diskutieren zu können, wie man Disziplin ohne Zwang erreicht. Widersinnig.
    Ich brach das Thema ab und blieb mit dem Gefühl zurück, wie so oft an der Quadratur des Kreises gescheitert zu sein.

«Ich geh Kita!»
    Himmlische Zeiten stehen bevor. Ich meine das Betriebspraktikum, das unsere Lieben im neunten Schuljahr absolvieren müssen. Drei Wochen sollen sich die Jugendlichen die raue Luft der Berufswelt um die Ohren wehen lassen. Völlig alleingelassen in einem fremden Betrieb ohne ABF (allerbeste Freundin) und möglichst ohne verwandtschaftliche Beziehung zum Chef werden sie den Unbilden der freien Marktwirtschaft ausgesetzt sein, ganze sieben Stunden am Tag. Sie sollen erste Schritte in Richtung Berufswahl gehen und spüren, wie sich Arbeit anfühlt.
    Meine Kinderlein wissen nicht genau, ob sie sich über das Praktikum freuen – immerhin fällt der Unterricht aus – oder ob sie sich davor ängstigen sollen. Huh, den gemütlichen Pantoffel Schule verlassen! Deshalb gehen sie vorsichtshalber erst gar nicht los, um sich einen Praktikumsplatz zu suchen.
    In den Parallelklassen haben alle bis auf zwei, drei Leute schon einen Platz gefunden, und bei unseren Schülern standen gestern noch vierzehn ohne da. Ist doch peinlich. Dabei haben Karl und ich uns schon den Mund fransig geredet. Der Satz «Hast du dir einen Praktikumsplatz gesucht?» hat inzwischen Mantra-Status.
    Jenny will zu Douglas. Ich weise sie zaghaft darauf hin, dass sie sich dann unbedingt umstylen müsse (weite graue Jogginghosen sind bei der Parfümeriekette vermutlich ein No-go). Daraufhin schreit sie mich an: «Okay! Sagen Sie doch gleich, dass ich scheiße aussehe!», und rennt aus der Tür. Sie wird an diesem Tag nicht mehr auftauchen.
    Hassan geht in eine Kita. Er geht in seine Kita. Dort kennen sie ihn seit Jahren (er hat noch mehrere kleine Geschwister).
    «Willst du etwa Erzieher werden?», frage ich hinterlistig. «Dafür braucht man doch jetzt Abitur.»
    «Niemals», sagt Hassan

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