Ghetto-Oma: Ein Leben mit dem Rücken zur Tafel
dem Schulrat. Diese Eltern stellen sich grundsätzlich vor ihr Kind, nicht dahinter. Sie fühlen sich grundsätzlich persönlich angegriffen und agieren grundsätzlich unberechenbar. Man bemüht sich um Absprachen mit ihnen, schließt Verträge, setzt Fristen, schlägt außerschulische Beratung vor, jedoch ohne Erfolg. Ganz im Gegenteil. Im dritten Akt tauchen sie wieder ab, und zwar umso tiefer, je problematischer die Entwicklung des Kindes verläuft. Die Schule hat sich in ihren Augen offenbar in eine Art Amt verwandelt, das ihnen, so wie viele andere Ämter, an den Kragen will.
Manchmal sieht man sich dann doch noch einmal: zum Beispiel auf dem Jugendamt. Dann schimpfen die Eltern auf die Schule und den Klassenlehrer, der ihr Kind von Anfang an nicht leiden konnte.
Zum Glück sind diese Eltern in der Minderzahl.
Elternschaft – die kann einen auch echt schaffen.
Hier integriert’s in alle Richtungen
Unser Elternabend gestern war eher schwach besucht, Erziehungsberechtigte von sieben Schülern verloren sich im weiten Klassensaal. Okay, ich will nicht meckern, wir hatten schon schlechteren traffic, und die Parallelklassen waren auch nicht viel besser dran.
Schade, Herr Sarrazin, dass Sie nicht vorbeigeschaut haben. Sie hätten sich gewundert. So simpel, wie Sie sich das mit der Integration vorstellen, ist das nämlich nicht.
Anwesend waren:
Eine türkische Mutter mit einer etwa achtzehnjährigen Tochter zum Dolmetschen (man musste schon genau hingucken, um festzustellen, welches die Mutter war, zumal beide Kopftuch trugen; sehr traditionell).
Eine deutsche Mutter, die mit einem Araber verheiratet ist. Sie war von oben bis unten in tiefstes Schwarz gehüllt, natürlich mit Kopftuch; bei weitem war sie am «islamischsten» angezogen.
Eine arabische Mutter mit Kopftuch, aber geschminkt und chic gekleidet, ihr Deutsch ist gut.
Zwei türkische Mütter, flott und modern, perfektes Deutsch.
Ein türkischer Vater; spricht ausgezeichnet Deutsch mit sehr starkem hiesigem Dialekt.
Ein arabischer Vater; sein Deutsch ist mittelschlecht.
In dem Gespräch mit den Eltern ging es unter anderem darum, dass unsere Schüler stets und ständig Türkisch oder Arabisch reden. Im Unterricht, auf dem Hof, eigentlich immerzu. Deutsch sprechen, wozu das denn? Eigentlich tun sie das nur mit den Lehrern.
Karl und ich wiesen darauf hin, dass alle unsere Schüler große Probleme mit der deutschen Grammatik hätten. Wir erläuterten, dass es später schwierig werden könnte, wenn … Und zack, schon grätschte eine der beiden flotten Mütter in meinen Satz rein: «Aber nein, das ist doch völlig normal, dass die Kinder sich mehr in ihrer Muttersprache unterhalten. Das machen mein Mann und ich auch immer!»
Die verhüllte Mutter mit ihrer Dolmetscher-Tochter schlug sich überraschend auf unsere Seite: Sie ließ übersetzen: «Nein, die Lehrer haben recht! Je weniger die Kinder Deutsch sprechen, umso weniger Übung haben sie.»
Sofort wurde sie von der schwarz Verschleierten unterstützt: «Genau! Reden Sie lieber auch zu Hause Deutsch mit Ihren Kindern!»
Das ärgerte die flotte Türkin, und leicht pikiert sagte sie zur schwarz Verschleierten: «Na ja, das sagen Sie nur, weil Sie Deutsche sind. Sie sind doch Deutsche, oder?»
Da klang für mich so was mit wie: «Glauben Sie nicht, gute Frau, dass wir das nicht merken, dass Sie so eine Art Mogelpackung sind!?»
Es gab noch eine ziemlich erregte Diskussion, aber keine Einigung. Alle Schubladen, in die ich die Eltern zu Beginn des Abends rasch hineingesteckt hatte, musste ich wieder aufmachen – und sie kletterten wie der Blitz von einer in die andere. Zum Schluss klemmten alle Kästen, und niemand ließ sich mehr richtig ordentlich einsortieren.
Und das ist bestimmt auch gut so.
Elternabend anders
«Schrecklich», sagte Frau Horn nach dem Elternabend, seufzte und angelte sich eine Zigarette aus dem Päckchen. «Dass die aber auch kein Deutsch lernen! Man kann sich ja gar nicht mit denen verständigen.»
«Deutsch lernen? Die wollen doch wieder zurück», antwortete Kollege Wolters und gab ihr Feuer. «Wär ja auch noch schöner!»
«Die» waren die Eltern unserer «ausländischen» Kinder. «Die» – es waren meist Väter – saßen beim Elternabend, müde von der Arbeit, ein bis zwei Stunden in deutschen Klassenzimmern, hörten der deutschen Lehrerin oder dem deutschen Lehrer und den deutschen Eltern zu und verstanden kaum ein Wort. Trotzdem kamen sie. Warum? Dachten
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