Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ghetto-Oma: Ein Leben mit dem Rücken zur Tafel

Ghetto-Oma: Ein Leben mit dem Rücken zur Tafel

Titel: Ghetto-Oma: Ein Leben mit dem Rücken zur Tafel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frl. Krise
Vom Netzwerk:
sie, es sei ihre Pflicht? Wollten sie Interesse demonstrieren? Hofften sie, damit ihr Kind zu unterstützen? Erwarteten sie Hilfe? Und weshalb nahmen wir Lehrer und Lehrerinnen das einfach so hin und hinterfragten ihre Anwesenheit nicht?
    «Wenn die jemanden zum Übersetzen dabeihaben, ist es fast noch schlimmer», fand Kollege Küppers und gähnte. «Das hält die ganze Chose erst richtig auf. Man will doch auch mal nach Hause! Ist ja schon gleich halb zehn.»
    War das Gedankenlosigkeit? Desinteresse? Arroganz? Intoleranz? Die Erwartung, dass jeder, der hier lebte, gefälligst in kürzester Zeit unsere Sprache sprechen lernt und sich schleunigst im deutschen Schul-Dschungel zurechtfindet?
    Ich glaube, es war eine Mischung aus alldem. Vielleicht schienen uns diese Eltern auch wirklich nicht so wichtig zu sein wie der deutsche Tischler, der deutsche Kaufmann oder die deutsche Kindergärtnerin. Sie standen auf einem Elternabend im Vordergrund, waren sehr aktiv und brachten mich als blutige Anfängerin mit ihren Fragen, Anregungen, Vorschlägen, Klagen und Beschwerden manchmal ganz schön ins Schwitzen.
    «Die» hingegen machten wenig Ärger, stellten keine unangenehmen Fragen, beschwerten sich nicht, forderten nichts und sagten mehr oder weniger zu allem Ja und Amen. Äh … Amen?

Ich frage mich
    Meine Klasse! Was soll ich dazu noch sagen? Jeden Tag beklagen die Kollegen die Faulheit und Ignoranz meiner Schüler, jeden Tag gibt’s neue Vorfälle, jeden Tag ereignet sich eine kleine Katastrophe. Und doch! Ich habe das Gefühl, es wird ein bisschen besser. Nein, nicht das Lernen, aber unsere Beziehung.
    Als Klassenlehrerin mag man seine eigene Klasse am liebsten von allen Klassen der Schule, es ist ein bisschen so wie mit den eigenen Kindern. Man sieht auch die übelsten Kapalken unscharf, wie durch einen Weichzeichner, und verteidigt sie wie eine Löwin ihre Jungen – besonders wenn die ignoranten Kollegen sich nicht in sie und ihr Verhalten einfühlen wollen. Man ist voller Empathie und leidet mit, wenn es zu Hause kracht und funkt und hört sich sogar bei der Drama-Queen (Aynur) der Klasse geduldig ziemlich unübersichtliche Storys an, die in der Regel tragisch enden und mit Schule nichts zu tun haben.
    Eigentlich besteht die eigene Klasse aus einer Ansammlung von Lieblingsschülern …
    Jedenfalls ging mir das bisher mit meinen Klassen immer so.
    Diese Klasse aber war von Anfang an anders.
    Karl und ich übernahmen sie als Klassenlehrer zu Beginn des siebten Schuljahrs, und vom ersten Tag an behandelten die Schüler uns, als wären wir giftige exotische Insekten, mit denen sie nichts zu tun haben wollten. Ja, sie drehten sich sogar weg, wenn wir sie ansprachen. Sie gaben uns deutlich zu verstehen, dass wir ihnen herzlich egal waren und dass sie in keiner Weise daran dachten, sich auf uns einzulassen. Das war sehr befremdlich und lange Zeit nicht zu knacken.
    Schulschwänzen, Gewaltvorfälle, Diebstähle, nichts ließen sie aus. Wir waren in einer Tour mit dem Jugendamt, einem Haufen Familienhelfern und -therapeuten, der Polizei und verschiedensten Beratungsstellen zugange. Und es bewegte sich nichts. Auch leistungsmäßig waren unsere Schüler tief im Keller, und die Kollegen fürchteten sie.
    Einige Schüler mussten die Klasse verlassen, wir unterrichteten zu zweit, die Klasse wurde geteilt und wieder zusammengelegt – kurz, es blieb fast nichts unversucht, und doch erschien alles erfolglos.
    Im achten Schuljahr gingen Karl und ich voll auf dem Zahnfleisch. Am liebsten hätten wir sie abgegeben – bloß niemand hätte sie uns je abgenommen. Wir schwankten zwischen Burnout und Depression, gefolgt von aggressiven Einschüben mit Anfällen von Selbstmitleid und Selbstzweifeln. Wenigstens bedauerten uns die Kollegen von Herzen, und sogar die Schüler anderer Klassen sprachen uns gelegentlich Trost zu.
    Aber irgendwas hat sich in den letzten Wochen verändert. Was es ist, kann ich noch nicht sagen, aber es passiert etwas. Einige Jungs und Mädchen sind inzwischen viel netter zu uns. Sie grüßen uns erfreut, wenn sie uns sehen, wir quatschen auch mal auf dem Hof, und alle gehen deutlich entspannter miteinander um als früher.
    Im Unterricht ist es trotzdem schwierig. Lernen – was das?
    Zum Lernen kann ich niemanden zwingen, das wird mir gerade an dieser Klasse immer wieder deutlich. Der Satz «Gras wächst nicht schneller, wenn man dran zieht» wurde, glaube ich, für meine Klasse erfunden.
    Bestimmt hat die

Weitere Kostenlose Bücher