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Ghetto-Oma: Ein Leben mit dem Rücken zur Tafel

Ghetto-Oma: Ein Leben mit dem Rücken zur Tafel

Titel: Ghetto-Oma: Ein Leben mit dem Rücken zur Tafel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frl. Krise
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Frau Schneider. Is doch nicht schlimm, Frl. Krise? Wegen Haarspray! Reden Sie mal mit Frau Schneider. Wenn sie mir Tadel gibt, ich bekomm voll Ärger mit meinem Vater, ich schwör!»
    Höchst diplomatisch sage ich, dass ich Haarspray im Unterricht völlig deplatziert finde, verspreche aber, mit Frau Schneider zu reden. Ich will es mir nicht ganz mit Nesrin verderben, zumal ich noch zwei Jahre mit ihr auskommen muss – im Gegensatz zu Frau Schneider, die ist sie los. Ein Tadel ist übrigens eine Schulstrafe, eine schriftliche Mitteilung, die zu den Akten genommen wird. Sie wird zwar von den Schülern gefürchtet, ist aber wenig nachhaltig, zumal manche Kollegen ihre Tadel so wahllos wie Taubenfutter unter die Schülerschaft streuen.
    Kaum ist Nesrin weg, überfällt mich schon die energische Frau Schneider. Sie ist groß und dick, und ihr ganzer Körper bebt mächtig vor Empörung. Ich bekomme fast Angst vor ihr.
    «Also, Frl. Krise, deine Nesrin! Jetzt kriegt die aber einen Tadel von mir! Die ganze Zeit hat sie nur gestört, und dann bin ich eine Viertelstunde vor dem Ende der Stunde mal kurz nach nebenan in die Sammlung gegangen, um das Gehirn (!) zu holen, und in der Zwischenzeit hat die den ganzen Raum mit Haarspray vollgenebelt. Sag mal, das geht doch wohl zu weit!»
    Im Stillen denke ich, man sollte Schüler wirklich nicht strafversetzen, das bringt nur noch mehr Ärger. Ich traue mich nicht, der aufgebrachten Frau Schneider zu widersprechen, sie hat ja recht. Irgendwie.
    Nach Bio haben wir Deutsch. Nesrin und Hülya aus der Parallelklasse schleichen hinter mir die Treppe rauf. Ich warte auf die beiden und sage: «Mach dich schon mal auf den Tadel gefasst, Nesrin!» Nesrin beginnt zum Steinerweichen zu schluchzen und produziert mit Hilfe ihrer Nase dicke Blasen. Hülya stützt sie und sieht mich vorwurfsvoll an.
    «Los, los», sage ich herzlos, «du kommst wieder mit in meinen Unterricht, Nesrin, ehe noch mehr passiert. Und du geh jetzt auch in deine Klasse, Hülya.»
    Nesrin kann mir aber nicht folgen, sie ist nicht in der Verfassung. Sie heult und schnieft, sie braucht Trost und Beistand. Schon eilen Aynur und Jenny von oben herbei, tätscheln und liebkosen sie und stoßen Verwünschungen gegen Frau Schneider aus.
    «Guck mal, Frl. Krise», sagt Jenny, «die Hülya hat doch so Scheißhaare, voll ausgetrocknet vom Glätten immer, und da standen die alle so wie … wie … wie Finger in Steckdose. Und Nesrin hat doch nur ein bisschen Haarspray draufgetan, dass die Jungen nicht lachen, abo!»
    Ich verstehe, es war ein gutes Werk! Aber Jenny soll sich da mal raushalten.
    «Ach, sei still Jenny, du warst doch gar nicht dabei», schnaufe ich kurzatmig (vierter Stock). Immer auf der Treppe diese Debatten! Nicht zum Aushalten.
    Ich schiebe Nesrin in die Klasse, alle umringen sie mitfühlend unter lautestem Geschnatter – die Stunde ist jedenfalls gelaufen, noch ehe sie angefangen hat.
    Heißt der Montag Montag, weil man alle auf den Mond schießen will? Ich fürchte, ja.
    Ich fühle mich wie eine Ruine und sehe auch so aus. Meine Haare! Wie Finger in Steckdose, mindestens …
    Muss mir dringend Haarspray kaufen.

«Wie die aussahen!»
    Die Schule ist immer schon der Catwalk, auf dem der pubertäre Selbstfindungsprozess zur Schau gestellt wird.
    In den Siebzigern ging es im wahrsten Sinne des Wortes uniform zu. Der Schulhof war einheitlich olivgrün und indigoblau. Alle Schüler trugen, genau wie die Studenten und auch viele Lehrer, einen Parka. Nur echt war der von der Bundeswehr, aber mit abgetrennter D-Fahne! Dazu natürlich blaue Jeans mit Schlag.
    Der Parka wurde das ganze Jahr über angezogen, im Sommer ohne, im Winter mit bräunlichem Teddyfell. Mit seinen vielen aufgesetzten Taschen nahm er zwar jeder Figur restlos die Form, war aber unschlagbar praktisch. Ein schwarz-weißes Palästinensertuch rundete das kämpferische Outfit ab.
    Die Haare der Jungen, leicht fettig, hingen bis weit über die Ohren. Falls barttechnisch schon möglich, züchtete man schöne lange Koteletten. Das alles sah zusammen mit einer blühenden Akne «super» aus. («Cool» oder «geil» sagte man damals noch nicht.)
    Die Mädchen malten sich schwarze Balken auf die Augenlider und trugen das Haar lang und in der Mitte gescheitelt. Zwingend dazu gehörte eine Geste: Zwischen Ring- und kleinen Fingern wurden synchron mit beiden Händen die Strähnen links und rechts des Gesichts glatt gezogen. Und das mindestens alle zwei

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