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Ghetto-Oma: Ein Leben mit dem Rücken zur Tafel

Ghetto-Oma: Ein Leben mit dem Rücken zur Tafel

Titel: Ghetto-Oma: Ein Leben mit dem Rücken zur Tafel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frl. Krise
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Minuten.
    In den Achtzigern wurde es plötzlich neongrell und schrecklich. Auf den Klassenfotos sahen alle aus, als hätten sie die Klamotten ihrer älteren Geschwister entwendet. Jacken und Hosen waren viel zu weit – nur die neu erfundenen wild gemusterten Leggins schmiegten sich knalleng um den Babyspeck. Knöchelturnschuhe, weiße Tennissocken, gestreifte Hosen und Jeans in Karottenform, T-Shirts und Sweatshirts mit bunten Aufdrucken dominierten das Bild. Die langen Haare fielen der Schere zum Opfer, und Vokuhila setzte sich in allen Altersstufen durch. Wer es lockig mochte, ließ sich eine Dauerwelle machen.
    Und der Label-Wahn nahm seinen rasanten Anfang! Wenn man als Jugendlicher dazugehören wollte, musste man ab sofort eine Markenjeans tragen. Die Eltern ächzten – dass ihre Kinder ihnen abverlangten, so viel Geld für Kleidung auszugeben, war ein Novum. Sogar auf Elternabenden wurde das Phänomen diskutiert, natürlich von Eltern und Lehrern, die sich selber Markenjeans kauften.
    Seit den Neunzigern ist die modische Lage unübersichtlich. Das Jahrzehnt begann mit Buffalos, Holzfällerhemden und viel Farbe in den Haaren. Der letzte große Einschnitt war dann das Aufkommen von Piercings und Tattoos. Zuerst erwischte es die Ohren. Ohrläppchen und -muscheln wurden gnadenlos eng an eng mit Steckern und Ringen übersät. Dann durchlöcherte man alles im Gesicht und am Körper, was sich durchlöchern ließ. Zum Glück waren gerade superkurze Tops angesagt, sonst hätte man all die herrlichen Bauchnabelpiercings und die rückwärtigen Arschgeweihe gar nicht bestaunen können.
    Heute schreien meine Schüler, die sich meine alten Klassenfotos anschauen: «Wie die aussehen!» Necla zeigt auf ein Bild, auf dem alle Mädchen in sackförmigen Jeansjacken versinken: «Voll uncool! Frl. Krise, gab es eigentlich früher gar keine schönen Sachen?»
    «Das werden die Kinder in zwanzig Jahren auch mal sagen», gebe ich zu bedenken und zeige auf das ballonförmige Käppi, das schräg auf Hassans Kopf schwebt, und das unvorteilhafte Oberteil im Empire-Style, mit dem Gülten ihren Babyspeck zu kaschieren versucht.

Kopftuchdesign
    Wann tauchten eigentlich die ersten Kopftücher in der Schule auf? Ich weiß es nicht mehr genau, auf Fotos finde ich sie ganz vereinzelt in den späten Neunzigern.
    Die ersten Mädchen mit Kopftüchern wurden von jedem bedauert; es waren unterdrückte Wesen, die sich der Herrschaft ihrer Familien beugen mussten. Sie trugen ihre Kopftücher mit wenig Selbstbewusstsein, und sie gaben sogar mehr oder weniger bereitwillig zu, es nicht freiwillig zu tun.
    Damals glaubten wir Lehrer, es handele sich um eine Randerscheinung – überkommen und altmodisch –, die sich schnell überlebt haben dürfte. Welches moderne, in Deutschland aufgewachsene Mädchen würde sich schon freiwillig dieser so einengenden Kleiderordnung unterwerfen: langer Mantel, langer Rock, lange Ärmel, verhüllter Kopf?
    Aber das Kopftuch und das dazu passende Outfit haben sich schwer verändert. Die Kleiderordnung bewegt sich stufenlos zwischen zwei extremen Polen:
    Nur noch eine Minderheit sieht aus wie die Mädchen von damals. Ein Kollege fand einen treffenden Namen für sie, er nannte sie «die Trachtengruppe». Mädchen, die zu ihr gehören, gehen nicht mit der Mode. Sie gehen mit keiner Mode, noch nicht einmal mit der Kopftuchmode. Ihre Kopftücher sind aus einem synthetischen Stoff, sehr groß und oft geblümt oder gemustert und auf eine antiquierte Art und Weise gebunden. Die Mädchen haben selbstverständlich lange Haare, stecken sie aber unter dem Tuch auf dem Hinterkopf nicht übermäßig auf, wodurch sich eine eher natürliche seitliche Kopfsilhouette ergibt. Sie tragen immer einen langen dünnen Mantel, drinnen wie draußen und oft auch sommers wie winters, darunter ein langärmeliges Shirt oder einen Pullover, und auf jeden Fall haben sie einen langen Rock an. Ihre einzige kleine Konzession an die Mode ist, dass der Mantel manchmal aus einer Art Jeansstoff besteht. Die Mädchen sind ungeschminkt und erinnern mich, wenn sie an mir vorbeischreiten, in ihrem Habitus ein bisschen an Nonnen. Sie sind in der Regel freundlich und zurückhaltend, bleiben unter sich und fallen nur durch ehrgeiziges Arbeiten und gute Noten auf.
    Im krassen Gegensatz dazu befinden sich die topmodischen Kopftuchträgerinnen. Ihre Baumwollkopftücher sind meist einfarbig und kunstvoll geschlungen. Teilweise sind sie sogar fast durchsichtig und

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