Ghetto-Oma: Ein Leben mit dem Rücken zur Tafel
paar Schüler kommen in den nächsten Minuten. Acht sind schließlich da.
Neunzehn müssten es sein.
Zwei Minuten vor neun trudeln noch Gamze, Azzize und Nesrin ein. Es schneeregnet, die Mädchen sind zu dünn angezogen und haben schlechte Laune. Nur Karl ist munter wie immer, reißt Witzchen und sammelt das Eintrittsgeld ein.
Mit immerhin elf Leutchen setzen wir uns um 9.08 Uhr in Bewegung. Elf!
«Tschüüüüsch! Wir müssen warten», schreit Jenny. «Frl. Krise! Gülten kommt noch, die hat verschlafen. Ich hab sie auf Handy angerufen.»
«Wir müssen gehen, wir haben da einen Termin», sage ich. «Und erinnerst du dich nicht mehr an unseren letzten Wandertag? Nesrin wollte da auch noch aufkreuzen. Wir haben endlos gewartet, und dann tauchte sie doch nicht auf.»
«Also, los jetzt, weiter!» Karl wird langsam ärgerlich.
«Ey, voll gemein, voll krass, Herr Wolf, voll link, echt. Die ist gleich … die geht doch gleich zu Hause los!» Jenny fuchtelt wütend mit ihrem lilafarbenen Handy in der Luft herum.
Wir latschen zum Bus. Betont langsam, aber nicht wegen Gülten, sondern weil unsere Schüler immer betont langsam gehen. Langsam gehen ist cool. Rennen ist voll uncool.
Plötzlich grinst mich Sam von der Seite an. «Huch, wo kommst du denn auf einmal her?», frage ich.
«Och, hab verschlafen. Was kann ich dafür? Wecker», murmelt Sam etwas nebulös und reicht mir das Eintrittsgeld.
Zwölf kleine Schülerlein …
Unterwegs treffen wir Frau Herz. Sie sieht uns triumphierend an, denn neben ihr gehen wie zwei begossene Pudel Hanna und Hassan.
«Die Herrschaften wollten gerade Richtung Einkaufscenter verduften», sagt Frau Herz. «Ha! Ich habe sie verhaftet.»
«Vallah, was glaubt Sie, wer Sie ist? Wir wollten gerade Schule gehen. Hässlichkeit! Voll die miese Lügnerin!» Hanna pumpt sich auf und guckt Frau Herz finster an, eine Augenbraue dramatisch hochgezogen. (Ich übe das auch schon die ganze Zeit, das sieht so herrlich prollig aus. Sogar Frau Freitag kann das! Aber mir fehlen da Muskeln an der Augenbraue, es klappt einfach nicht.)
«Hanna, ich mag dich auch», sagt Frau Herz ungerührt und geht weiter.
Jetzt haben wir vierzehn Schüler; ich zähle lieber öfter nach, man verliert womöglich die Übersicht.
Jenny dirigiert Gülten immer noch fernmündlich, aber irgendwann stellt die ihr Handy ab; wahrscheinlich liegt sie inzwischen wieder gemütlich im Bett. Auf einen Fehltag mehr oder weniger kommt es ja aufs Leben gesehen wirklich nicht an.
Wir fahren ein paar Stationen mit dem Bus. Dann laufen wir ein Stück und warten auf die Tram. Beim Einsteigen zählt Karl noch einmal unsere Schäfchen.
Eins fehlt!
«Ach, das ist bloß Turgut, Herr Wolf», sagt Emre heiter.
«Wo ist der?»
«Och, der ist eben gleich nach Aussteigen aus dem Bus in andere Richtung gegangen.»
Karl und ich sehen uns an.
Frechheit!
«Dreizehn», sage ich, «das bringt Unglück.»
Klassenfahrt?
Gerne! Hat jemand eine nette Klasse? Ich fahre mit! Am liebsten natürlich ins Ausland – Türkei, Spanien, Italien! Aber nur mit Flieger!
Klassenfahrt mit Bus
Edda und ich freuten uns aus unterhaltungstechnischen Gründen sehr über eine flotte neue Kollegin namens Lara. Sie war genau wie wir Ende zwanzig, aber schon geschieden, also gerade Single, und sie ließ – auch in der Schule – nichts anbrennen. Zum Glück hielt sie uns immer schön ausführlich über ihre Liebschaften auf dem Laufenden. Zu dritt zusammengequetscht saßen wir in den Pausen auf einem Stuhl und tuschelten. (Es gab nicht genügend Stühle für alle.) Je mehr Rücksicht wir dank der Brisanz der Mitteilungen auf die zarten Seelen unserer Kollegen nehmen mussten, desto leiser wurden wir, bis wir manchmal nur noch flüsterten.
«Morgen früh geht’s los! Der Bus kommt um neun! Meine Klasse freut sich wie verrückt auf die Klassenfahrt», sagte Lara und nahm einen Schluck aus meiner Kaffeetasse. «Nur ich nicht … für mich springt da nichts raus!»
«Wie meinst du das?», fragte Edda.
Lara dämpfte ihre Stimme: «Na, an meiner alten Schule war ich immer mit äußerst netten, attraktiven Kollegen unterwegs … Und mit denen, also, wir haben … ihr wisst schon!»
Ich flüsterte: «Echt? Ihr habt …? Und wer fährt jetzt mit?»
Lara grinste. «Herr Frank!»
Edda seufzte mitleidig, und ich schüttelte mich.
Kollege Frank war nicht gerade der Reißer. Uralt, bestimmt schon Mitte vierzig, ein unregierter Bart, eine Baustelle im Mund. Und
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