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Ghetto-Oma: Ein Leben mit dem Rücken zur Tafel

Ghetto-Oma: Ein Leben mit dem Rücken zur Tafel

Titel: Ghetto-Oma: Ein Leben mit dem Rücken zur Tafel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frl. Krise
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unterzeichnen sie brav das Kindergeschreibsel, und fertig ist die Entschuldigung.
    Meistens bekomme ich einen abgerissenen, karierten Zettel, der etwa ein Drittel so groß wie ein DIN-A4-Bogen ist. Abgerissen, nicht geschnitten. Man spart, wo man kann.
    Der Text tut noch ein Übriges:
Liebes Frl. Griese.
Ich möchte mein sohn Theo endschuldigen, weil er gefelt hatt, weil er hate eine gripalen Infegt. Ich möchte sie bedanken für das Verstendnis.
Mfg
Krickelkrackel
(Unterschrift)
    Insgesamt dringend überarbeitungswürdig. Das wäre doch ein super Einstieg ins Thema Briefeschreiben …
    Ich habe diese durchschnittlich grässliche Entschuldigung also kopiert und teile sie aus. Das heißt, Hanna teilt aus. Sie liebt das. Die Namen in der Entschuldigung sind geschwärzt. Die Klasse wird ja nicht erwähnt.
    Die Schüler sollen nun in Partnerarbeit nach allem fahnden, was falsch ist. Am interessantesten finden sie natürlich die geschwärzten Stellen. Alle wollen unbedingt herausbekommen, was da ursprünglich stand. Eifrig wird das Blatt hin und her gewendet, gegen das Licht gehalten und mit einem zusammengekniffenen Auge genau geprüft; es werden Vermutungen ausgestoßen und ausgetauscht.
    «Vallah, ich kenne die Schrift! War Ali aus 9a.» Hassan ist sich sicher.
    «Was redest du! Ist voll Mädchenschrift!», findet Aynur.
    «Kinder, darauf kommt es doch überhaupt nicht an», sage ich ungeduldig. «Jetzt fangt mal endlich an!» Ich drängele, schließlich hatte ich ungefähr acht Minuten für diese Phase eingeplant, und sechs sind schon rum.
    Alle berappeln sich und schreiben brav auf den Zettel, was fehlt, Datum und Zeitraum des Krankseins und …
    Nein! MfG geht nicht! Das heißt «Mit freundlichen Grüßen». Natürlich muss ich, von einem kleinen inneren Teufel gezwungen, sofort leise «MfG – mit freundlichen Grüßen / die Welt liegt uns zu Füßen, denn wir stehn drauf / Wir gehn drauf …» von Fanta4 skandieren. Zum Glück kennen das «meine» Kinder nicht mehr, sonst wäre gleich wieder alles zusammengebrochen. Nur Emre guckt mich schräg von unten an, als sorge er sich ein bisschen um meine «geistliche» Gesundheit.
    Die Rechtschreibfehler werden mit Hilfe des Dudens unter großem Gestöhne dingfest gemacht, und mit den richtigen Wörtern und unter meinem mütterlichen Zureden wird ein neuer Text gebastelt.
    Dann dürfen alle ihre Entschuldigung auf eine Overheadprojektor-Folie schreiben. Großes Geschrei, jede Minigruppe will ihre zuerst an die Wand schmeißen. An der steht dann schließlich, von Hanna und Gülten verfasst:
Liebes Frl. Krise   1. März 2012
Bitte entschuldigen Sie das Fehlen von meinen Sohn xxxxx, Klasse 9b. Er hatte einen grippalen Infarkt von 12.–13.2.12. Er war Arzt.
Mit freundlichen Grüßen,
Unterschrift
    Na bitte! Geht doch! Fast perfekt! Allerdings der Infarkt … Na, das klären wir demnächst mal in Bio.
    Die anderen wollen ja auch noch drankommen.

Talk-Talk-Talk
    Leilas Eltern sehen mich zweifelnd an. Haben sie mich richtig verstanden?
    Ich gucke wahrscheinlich genauso kariert wie sie. Verstehen die mich überhaupt?
    Ach, warum ist mein Türkisch nicht besser? Oder deren Deutsch? Aus ähnlichen Gründen, vermutlich.
    Ich versuche gerade diesen anscheinend sehr netten Eltern zu verklickern, dass ihr liebes Töchterlein null Interesse mehr an der Schule zeigt. Sie hat in letzter Zeit sehr viele Stunden geschwänzt. «Randstunden abgehängt» heißt im Schuljargon, wenn jemand aus der Mittagspause nicht wiederkommt.
    «Auf dem Zeugnis steht das auch», bemerke ich.
    «Ja, sehr schlecht, immer sagen Leila Schule gehen!» Der Vater sieht mich etwas verlegen an.
    Die Mutter dagegen wirkt kritisch. Denkt die, ich erzähle Märchen?
    «Wenn Ihnen meine Frage zu persönlich ist, brauchen Sie sie nicht zu beantworten.» Ich wage einen Vorstoß. «Gibt es vielleicht zurzeit familiäre Probleme? Leila ist oft so traurig.»
    Vater und Mutter schauen sich an.
    «Keine Probleme! Nix Probleme!», stellt der Vater nachdrücklich fest.
    Ich seufze innerlich. Irgendwas ist da im Busch. Aber ich werde nicht dahinterkommen, nicht heute, nicht an diesem Elternsprechtag.
    Karl und ich haben uns vierzehn Eltern bestellt. Neun kommen. Das ist unfassbar viel.
    Alle sind im Bilde: Die Kinder arbeiten nicht für die Schule, sie interessieren sich für alles Mögliche, aber nicht für den Schulabschluss. Sie stressen herum. Und die Erziehungsberechtigten berichten, dass ihre Zöglinge

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