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Ghetto-Oma: Ein Leben mit dem Rücken zur Tafel

Ghetto-Oma: Ein Leben mit dem Rücken zur Tafel

Titel: Ghetto-Oma: Ein Leben mit dem Rücken zur Tafel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frl. Krise
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aller Vokabeln der gerade Anwesenden zustande. Allerdings wurde vor und nach jedem deutschen Halbsatz intensiv auf Türkisch diskutiert, was das Gespräch nicht gerade beschleunigte und der vorgebrachten Problematik einiges ihrer Schärfe und Dringlichkeit nahm.
    Die kleineren Kinder der Familie machten unterdessen charmante Annäherungsversuche, der Fernseher lief im Hintergrund, es gab Tee und süßes Gebäck, irgendjemand klapperte mit den Töpfen in der Küche, und man fühlte sich schon ganz familiär und begann sich im Stillen ernsthaft zu fragen, wieso man mit Okan, der sich unauffällig in eine Sofaecke drückte, überhaupt Probleme gehabt hatte.
    Dann, als das große Palaver beendet war und man sich zum Gehen anschickte, öffnete sich die Wohnzimmertür, und Okans Mutter/große Schwester/Tante/Cousine trug ein köstliches Essen auf, das abzulehnen sehr unhöflich gewesen wäre.
    Am Ende des langen Nachmittags schied man satt und freundschaftlich voneinander, mit viel Händegeschüttel, guten Wünschen und Rechtslinksrechts-Küsschen. Noch in der Haustür wurde ein letztes Mal gelobt, sich ab sofort bessern zu wollen (Okan), sich hier und da in der Schule blicken zu lassen (Vater), sich mehr um alle Schulangelegenheiten zu kümmern (Mutter und große Schwester) und das Kind verstärkt zu unterstützen (Frl. Krise).
    Okans Verhalten veränderte sich in der Folge nicht die Bohne. Die Eltern blieben schwer erreichbar. Und ich bekam einen Jungen neu in die Klasse, gegen den Okan geradezu ein Musterschüler war.

Frl. Krise ist unmodern
    «Frl. Krise, können wir mal draußen Unterricht machen?» Nesrin, die holde Närrin, schaut sehnsuchtsvoll in den blauen Himmel.
    Ich schließe energisch das sperrangelweit geöffnete Fenster und drehe das Ventil des Heizkörpers auf drei hoch. Zwei Grad unter null ist es draußen und kurz vor acht.
    «Ja, gern, aber im Juli», sage ich und überlege: Im Juli werden wir schon Sommerferien haben.
    Noch zehn Wochen und ein Schuljahr … und diese Klasse hat fertig. Nicht daran denken, mit welchen Bildungsdefiziten die mal ins Leben gehen werden.
    Necla stürzt gerade mit dem Klingelzeichen in die Klasse. «Noch pünktlich!», betont sie und überreicht mir eine kleine rote Rose, die sie draußen von irgendwelchen Parteileuten bekommen hat.
    «Für Sie», sagt sie generös, «weil gestern Rosenmontag war. War doch, oder?»
    «Die Rose ist nicht von Rosenmontag», erklärt Hassan, «die ist von was anderes.»
    «Frauentag?», schlage ich vor – und alle gucken mich erstaunt an.
    «Gibt’s auch Männertag?», fragt Emre gleich, der sich letzte Woche aufgeregt hatte, als er erfuhr, dass es im April einen Girl’s Day gibt. «Nee, wa? Voll gemein, das!»
    «Lasst uns mal langsam mit Deutsch anfangen», schlage ich vor, denn wenn ich mich jetzt in Frauen- und Männertagen verliere, ist mein Unterricht gleich mit verloren. «Nach den anderen Tagen fragt mal in Geschichte.»
    «Wer hat seine Tage?» Fuat wacht auf.
    Schluss jetzt! Es hat geklingelt, die Stunde beginnt, und wir stürzen uns in die Arbeit. Alle haben noch mit den Briefen zu tun, und ich umkreise die Herde wie ein Hütehund, damit bloß niemand ausbricht. Na, das hat jetzt aber auch sehr wenig mit einem modernen Lehrerbild zu tun, denke ich beim Umrunden meiner Schäfchen. Der moderne Lehrer – was soll der nicht alles sein? Prozessbegleiter … Lernberater … Moderator … Vermittler von Fach-Medien-Sozialkompetenz …
    Und ich bin schon froh, dass nach zweieinhalb Jahren härtesten Trainings tatsächlich immer dieselben Schüler meiner Klasse morgens nicht allzu unpünktlich aufschlagen, sich und mich freundlich begrüßen und dann als Krönung – wie heute – einen gelben oder blauen Marker hervorzaubern, um die geforderte Aufgabe, nämlich das Unterstreichen von wichtigen Stellen eines Texts, halbwegs bereitwillig auszuführen. (Wenn nur nicht Nesrin ständig fragen würde: «Woran merke ich denn, was die wichtigsten Stellen sind?» Wie recht sie hat! Kein Pädagogik-Guru konnte diese Frage bisher beantworten, geschweige denn ich.)
    Ich gebe meine Schäferhundkreiserei auf und setze mich zu ihr. Sie lächelt mich an und lehnt kurz den Kopf gegen meine Schulter. «Ich mag Sie voll, Frl. Krise», sagt sie und kaut auf ihrem Marker herum. «Doch wie geht das mit den Textstellen?», fragt sie mich dann zum hundertsten Mal.
    Beziehungsprofi, denke ich, das muss man hier sein, alles andere ist eigentlich

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