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Ghetto-Oma: Ein Leben mit dem Rücken zur Tafel

Ghetto-Oma: Ein Leben mit dem Rücken zur Tafel

Titel: Ghetto-Oma: Ein Leben mit dem Rücken zur Tafel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frl. Krise
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auch zu Hause nicht mehr ganz so sind, wie man es gern hätte.
    Vallah, was tun? Die Pubertät holt alle ein …
    Die Mütter sind verzweifelt und hilflos, die Väter gucken böse. Die Kinder sitzen kichernd neben ihnen und lugen Karl und mich verschwörerisch an.
    Sorry, Gülten, aber das muss ich jetzt deiner Mutter erzählen!
    «Sie interessiert sich nur noch für ihr Äußeres. Sie findet es normal, sich im Unterricht ungeniert die Wimpern zu tuschen und sich alle zwei Minuten in ihrem kleinen Taschenspiegel zu bewundern.»
    Die Mutter ist entsetzt. Was das? So benimmt man sich doch nicht in Schule! Sie blickt ihre Tochter strafend an. Die sieht übrigens ganz anders aus als noch heute Morgen. Irgendwie so natürlich. Nur eine ganz dezente Bräune ist auf ihrer Haut zu sehen. Getönte Feuchtigkeitscreme, denke ich, wo sind die krass fetten Make-up-Schichten geblieben? Und was ist mit ihren Wimpern los? Getuscht, ja. Aber sehr dezent.
    So sieht sie viel netter aus, überlege ich weiter und höre gerade noch, wie die Mutter sagt: «Make-up in der Schule habe ich verboten.»
    Aha. Gut zu wissen. Gülten sieht mich von unten an.
    Jetzt geht es um Koalitionen. Mit wem verbünde ich mich? Mit der Mutter? Mit Gülten? Auf jeden Fall muss ich mir die mütterliche Autorität im Hintergrund sichern, aber ich darf es mir auch nicht ganz mit Gülten verscherzen, mit der habe ich jeden Tag zu tun.
    Also versuche ich es mit Diplomatie: «Jetzt siehst du ganz toll aus, Gülten. Du bist doch ein sehr hübsches Mädchen! Und so lenkt dich das Make-up nicht mehr im Unterricht ab. Du kannst nun konzentriert mitarbeiten und dich verbessern.»
    Gülten nickt, die Mutter nickt, und Karl lächelt fein. Wir werden sehen.
    Dann erscheint Emre mit seinem Vater. Der Vater hört sich unsere freundliche Einschätzung an und guckt dabei auf seinen Sohn, als sei er ein exotisches Insekt. Vielleicht versteht er mich auch bloß nicht. Aber er scheint zufrieden zu sein. Nur das mit dem Realschulabschluss …
    «Emre Realabschluss?»
    Wir versichern, wir werden Emre unterstützen, wo wir können. Und wir wissen ja, dass auch Emre sein Bestes geben wird, aber – es gibt eine Menge «aber» – man muss sehen, wie es weitergeht. Eine genaue Prognose können wir heute nicht abgeben. Emre ist schwach in Deutsch und damit auch automatisch in Mathe. Die neuen Aufgabenformen in Mathe sind schwierig für solche Schüler, es gibt vielmehr Textaufgaben als früher.
    Das Gespräch läuft holzschnittmäßig ab, wie viele andere auch. Ja, Emre guter Junge, ja, gut lernen, ist fleißig, Papa stolz, wir auch. Unbefriedigend! Die Sprachbarrieren verhindern ein differenziertes Kommunizieren.
    Emre sitzt ganz klein neben seinem Vater. Im Unterricht kommt er mir immer groß und erwachsen vor, aber jetzt ist er auf einmal ein kleiner Junge mit seinem Papa.
    Am Ende erscheint noch ein Vater mit seinen beiden schönen Töchtern. Die eine von ihnen, Sarah, ist vor vier Wochen in unserer Klasse gelandet. Eine schlimme Schulkarriere hat sie hinter sich. Aber jetzt will sie es schaffen. Wir hoffen, sie hält durch. Der Vater erzählt vom Jugend- und Schulamt, von falschen Freunden und Polizei. Na ja, das Übliche eben.
    «Nächstes Jahr kommt noch eine Tochter zu euch an die Schule», sagt er.
    «Drei Töchter haben Sie?», frage ich aus Small-Talk-technischen Gründen.
    «Nein.» Er schüttelt energisch den Kopf. «Acht!»
    Himmel … acht Töchter! Der Mann muss Nerven wie Drahtseile haben.
    Nach drei Stunden fällt die Klappe. Die Heizung ist runtergefahren, es ist ganz schön kalt geworden im Klassenraum.
    Sollen wir noch ein Bier trinken gehen?
    Karl will nach Hause. Na, dann bis morgen.
    Dann wird sich weisen, ob das ganze Gerede einen Sinn hatte.

«Darf ich reinkommen?»
    Die Gesamtschule-Süd lag mitten im Wohnquartier unserer Schüler, und es war ein Leichtes, rasch mal auf der Heimfahrt bei missliebigen Schülern, wie zum Beispiel Okan, an der Haustür zu klingeln. Natürlich nur im äußersten Notfall, wenn die Eltern kein Telefon hatten oder auf meine Briefe nicht reagierten. Ich fand Hausbesuche immer spannend – und besonders natürlich bei meinen Schülern mit türkischer Herkunft.
    Meistens verhandelte man bei diesen Besuchen mit sämtlichen Personen, die sich gerade in der Wohnung befanden – Nachbarn, Freunde und Verwandte eingeschlossen. Die sprachliche Verständigung kam, wenn auch mühsam und schleppend, durch das kollektive Zusammenwerfen

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