Ghetto-Oma: Ein Leben mit dem Rücken zur Tafel
«Du bist auch Deutsche» und sage: «Wie ich will? Ja, aber ich denke vorher drüber nach und entscheide dann. Wer kann mir denn eigentlich vorschreiben zu heiraten?»
Nesrin ist verwirrt. Aynur und Necla nicken.
Es klingelt. Wir hatten übrigens gerade Ethik.
«Frl. Krise», sagt Nesrin, «nächste Stunde müssen Sie aber unbedingt weiter erzählen. Von Ihrer Hochzeit! Was Sie anhatten. Und warum Sie geschieden sind. Wie Sie leben, ist voll komisch. Aber da lernt man voll viel bei.»
Wie ich lebe!
Nur eine Möglichkeit von vielen, die man hat!
Wenn Nesrin das sehen könnte, wäre ich schon sehr zufrieden.
Klara schreibt krank
Den ganzen Nachmittag habe ich beim Arzt verbracht. Grauenhaft. Ich hasse Wartezimmer. Und Arztbesuche!
Meine Schüler dagegen gehen, wie gesagt, gern und oft zum Arzt. Am liebsten zu Klara Kunze, ihres Zeichens Allgemeinmedizinerin, gleich bei uns um die Ecke. Offenbar gibt es für meine «kränklichen» Kinderlein nichts Schöneres, als stundenlang in ihrem Wartezimmer Zeitungen durchzublättern, am Handy herumzunesteln und sich dem in Wartezimmern erwünschten Nichtstun hinzugeben. Krank zu sein ist für sie mit einem Lustgewinn verbunden: Es ist das Attest, das sie glücklich macht, und das bekommt man hier leicht.
Ömür hat eine Woche gefehlt.
«Na, Ömür, wieder gesund?», frage ich aufbauend. «Was hattest du denn?»
«Ja, ich war voll krank», erzählt Ömür fast stolz. «Ich hatte Fieber und so Schmerzen hier und da.» Er pikt sich mit dem Zeigefinger in seinen rundlichen Bauch. «Ich war Arzt», sagt er weiter und hält mir ein Attest entgegen. Sehr schön.
Allerdings stammt die Krankschreibung aus der Feder von Frau Klara Kunze. Das gefällt mir weniger. Mensch! Deren Atteste möchte ich am liebsten gar nicht mehr annehmen. Ich habe nämlich den berechtigten Verdacht, dass diese gute Frau ohne großartige Untersuchung jeden krankschreibt, der sich ihr nähert. Bevorzugt meine Schüler.
Turgut fehlte lange Zeit jede Woche ein- bis zweimal, immer mit einem Attest von Frau Kunze. Bis ich eine Schulversäumnisanzeige machte. Frau Dr. Kunze müsste das doch auffallen, wenn so ein strammer Bursche wie Turgut alle paar Tage angeblich krank bei ihr aufkreuzt, oder?
Ein anderes Beispiel: Ali gibt mir ein Attest ab, das sehr komisch aussieht, nämlich so, als ob sich jemand mit Tipp-Ex an dem Namen zu schaffen gemacht hätte. Eine äußerst plumpe Fälschung.
Der Sache gehe ich sogleich auf den Grund: Ich durchleuchte den Wisch, kratze mit einem Skalpell vorsichtig einen Teil der weißen Schicht ab und entdecke einen ganz anderen Namen, nämlich den von Fuat. Aha. Schlau, aber nicht schlau genug. Diese Halunken!
Ich rufe in der Praxis von Dr. Klara Kunze an und bekomme nach einigem Hin und Her die Bestätigung: Fuat war wirklich am Ausstellungstag des Attests in der Sprechstunde.
Ich befrage Ali und Fuat, zuerst einzeln, dann zusammen. Fuat beteuert, er sei nicht in der Praxis gewesen.
«Aber dein Name steht auf dem Attest, das kannst du doch nicht leugnen!»
Fuat windet sich trotzdem und streitet alles ab.
Schließlich gibt Ali zu, er sei mit Fuats Krankenkassenkarte zu Frau Kunze gegangen. Die kennt offensichtlich nicht jeden Patienten persönlich, was man ihr bei dem großen Patientenstamm nicht verdenken kann. Warum er nicht seine eigene Karte benutzen konnte, bleibt im Dunkeln.
Leider hat Klara Kunze dann Fuats Namen auf das ersehnte Attest geschrieben. Das hatten die beiden Spezialisten nicht bedacht, und so kam zur Erschleichung der Krankschreibung auch noch eine Dokumentenfälschung dazu.
Beide Jungs sehen blühend aus und sind garantiert kerngesund. Ich frage mich, wie diese mehrtägige Krankschreibung zustande kommen konnte.
«Das kann ich Ihnen sagen», verrät mir Sonja aus der Zehn. «Man erzählt Frau Kunze einfach irgendwas, und sie fragt dich, wie lange du krankgeschrieben werden willst.»
Die ganze Schule scheint in der Praxis Kunze aus und ein zu gehen.
Nur ich war immer noch nicht da.
Braucht jemand eine Auszeit?
Ich empfehle Klara Kunze – gleich bei uns um die Ecke.
MfG
Und immer wieder Deutschunterricht. Es geht um das Thema Briefe. Nein, leider nicht um Liebesbriefe (gibt’s die noch?), sondern um offizielle Briefe!
Unsere Schüler schreiben so etwas oft, nämlich ihre Entschuldigungszettel fürs Fehlen. Ob die Eltern dazu morgens zu verschlafen sind oder keine Zeit oder Lust haben, soll hier nicht erörtert werden. Jedenfalls
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