Ghost Dusters 01 - Die Geisterfeger
haben?«
Sadie war froh, in die Küche gehen zu können, um ihm noch einen Drink zu holen. Während sie den Whisky ins Glas goss, rief sie auf Dawns Handy an.
»Dein Verlobter ist bei mir und sucht dich«, zischte sie auf die Mailbox ihrer Schwester.
Sadie brachte Noel den Drink, und eine Weile saßen sie schweigend nebeneinander. Als er die Sprache wiedergefunden hatte, jammerte er, dass er Dawn verlieren würde. Da ihre Schwester sich nicht selbst verteidigen konnte, befand sich Sadie in einer prekären Lage.
Gegen vier schlief Noel ein und begann laut zu schnarchen. Sadie legte seine Beine auf die Couch und versuchte, es ihm bequem zu machen. Sie stellte den Mülleimer dicht neben seinen Kopf. Noel hatte eine Menge Whisky getrunken, und Sadie hatte keine Lust, das Desinfektionsmittel aus der Garage zu holen und sein Erbrochenes aufzuwischen.
Sadie holte eine Daunendecke aus dem Wäscheschrank und deckte Noel damit zu. Er wurde kurz wach, murmelte Dawns Namen und schlief wieder ein. In diesem Moment tat er ihr richtig leid, und sie hätte Dawn am liebsten umgebracht.
Als Sadie auf den Mann hinabsah, der da mit offenem Mund schnarchend auf ihrem Sofa lag, traf sie die Realität plötzlich wie ein Blitz. Sie nahm ihm behutsam die Brille ab und legte sie auf den Couchtisch. Mit angehaltenem Atem prägte sie sich Noels Gesichtszüge ein – den leichten Überbiss, die schmale Nase und den blonden Haarschopf.
Mit einem Kloß im Hals kämpfte Sadie gegen die aufkommende Panik an. Sie lief zum Beistelltisch und schnappte sich ein gerahmtes Bild von Brian. Mit zitternden Händen ging sie zum Sofa zurück und hielt das Foto neben Noels Gesicht.
Beide waren blond, von schmaler Statur und etwa im selben Alter. Ansonsten aber würde niemand auf die Idee kommen, dass sie verwandt sein könnten.
»Warum habe ich immer geglaubt, dass er wie Brian aussieht?«, murmelte Sadie laut.
Sie kam sich wie eine Närrin vor. Kummer und Schmerz überwältigten sie, als würde sie zum ersten Mal von Brians Tod erfahren. Mit einem leisen, animalischen Stöhnen sank sie auf die Knie und schluchzte in ihre Hände.
Noel begann sich zu regen, und Sadie nahm alle Kraft zusammen und rappelte sich hoch. Sie taumelte in ihr Schlafzimmer und ließ sich aufs Bett fallen. Sadie kniff die Augen zu, und der quälende Schmerz über den Verlust ihres Bruders durchzuckte ihre Brust.
Stundenlang starrte Sadie von ihrem Bett aus auf eine leere Wand. In Gedanken sah sie jeden Augenblick vor sich, den sie mit ihrem Bruder verbracht hatte. Sie erinnerte sich an ihren zwanzigsten Geburtstag, als er mit Rasierschaum »Happy Birthday« auf ihren Wagen geschrieben hatte. Ein paar Jahre später hatte er sie und Dawn zum Angeln mitgenommen und sich über ihre Ungeschicklichkeit halb totgelacht. In dem Jahr, als er starb, hatten Dawn und Sadie zum Valentinstag Blumensträuße von ihm bekommen, weil damals beide keinen Freund hatten. Mit seinen Klettertouren hatte er die ganze Familie in Angst und Schrecken versetzt. Alle waren davon überzeugt gewesen, dass er eines Tages abstürzen und sich den Hals brechen würde.
Die Erinnerungen waren wie Peitschenhiebe, und Sadie war hin- und hergerissen zwischen Tränen und herzzerreißender stiller Trauer.
Es war noch nicht Morgen, als Sadie hörte, wie Noel aufstand und sich leise aus dem Haus stahl. Sie machte keinerlei Anstalten, ihn zu verabschieden. Als er mit seinem Wagen aus der Einfahrt fuhr, öffnete Sadie die Schublade ihres Nachttischchens, um eine Packung Papiertaschentücher herauszuholen. Dabei streifte ihre Hand den Ruger Revolver Kaliber.22, den sie in der Schublade aufbewahrte, und ihre Finger zuckten zurück, als hätte sie sich verbrannt.
Schließlich nahm Sadie die Waffe heraus und spürte das
Gewicht in ihrer Hand. Der kalte stählerne Lauf glänzte. Sie nahm die Waffe und die Schachtel mit Munition und ging zu ihrem Kleiderschrank. Sie stieg auf einen Stuhl und verstaute die Waffe in einem Schuhkarton ganz hinten im Schrank.
Die Erfahrung hatte sie gelehrt, dass Selbstmord nicht mit donnerndem, unvorstellbarem Getöse einherging. Es war ein verlockendes Raunen, das einem die Menschen nahm, die man liebte.
~ 16 ~
D as Telefon klingelte viermal, ehe Sadie den Hörer auf ihrem Nachttisch abnahm.
»Mein Gott, Sadie, es tut mir so unendlich leid! Was hast du ihm gesagt?«, fragte Dawn.
»Dein Verlobter ist hier aufgetaucht, weil du ihm anscheinend gesagt hast, du wärst bei mir... Was zum
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