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Ghost

Titel: Ghost Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Harris
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deprimierenderen Anblick zu bieten hat als Meile um Meile dieser verkrüppelten, aschfarbenen Zwergbäume in ihrem Winterkleid. Ein paar krause braune Blätter waren der einzige Beleg dafür, dass sie vielleicht einmal lebende Organismen gewesen waren. Auf den knapp drei Meilen, die wir holpernd und rumpelnd auf dem schmalen Waldweg zurücklegten, kam uns nur eine einzige Kreatur zu Gesicht, nämlich ein überfahrenes Stinktier. Wir erreichten schließlich ein verschlossenes Tor. Aus der versteinerten Wildnis tauchte wie aus dem Nichts ein Mann mit einem Klemmbrett auf, der den unverwechselbaren dunklen Crombie-Mantel und die unverwechselbaren schwarz glänzenden Oxford-Schuhe eines britischen Polizeibeamten in Zivil trug.
    Ich kurbelte das Fenster auf meiner Seite herunter und reichte ihm meinen Pass. In der Kälte hatte sein großes, verdrossenes Gesicht die Farbe von Ziegelstein, seine Ohren die von Terrakotta angenommen: kein Mensch, der mit seinem Los zufrieden war. Er sah aus, als hätte man ihn zunächst für zwei Wochen als Leibwächter einer Prinzessin in der Karibik eingeteilt, um ihn dann in letzter Minute hierher zu beordern. Mit finsterem Gesichtsausdruck hakte er auf seiner Liste meinen Namen ab, dann wischte er sich einen großen klaren Tropfen von der Nasenspitze und drehte eine Inspektionsrunde um das Taxi. Ich konnte die unaufhörlich rollende Brandung hören, die irgendwo auf einen Strand donnerte. Er kam wieder zur Beifahrerseite, gab mir den Pass zurück und sagte – zumindest bildete ich mir ein, dass er das sagte –: »Willkommen im Irrenhaus.«
    Ich wurde plötzlich nervös, was man mir hoffentlich nicht anmerkte, denn der erste Eindruck, den ein Ghost hervorruft, ist äußerst entscheidend. Ich versuche, niemals Nervosität zu zeigen. Ich bemühe mich immer um professionelles Auftreten. Mein Dresscode ist der eines Chamäleons: Was immer ich vermute, was mein Auftraggeber trägt, das versuche auch ich zu tragen. Für einen Fußballer ziehe ich möglichst Turnschuhe an, für einen Popsänger eine Lederjacke. Für meine allererste Begegnung mit einem früheren Premierminister hatte ich mich gegen einen Anzug entschieden – zu förmlich: ich hätte wie ein Anwalt oder Steuerberater ausgesehen – und stattdessen ein hellblaues Hemd, eine konservative gestreifte Krawatte, ein Sportsakko und graue Hosen gewählt. Die Haare waren ordentlich gekämmt, die Zähne geputzt, der Deoroller gerollt. Ich war so startklar, wie ich nur sein konnte. Irrenhaus? Hatte er das wirklich gesagt? Ich drehte mich noch einmal zu dem Polizeibeamten um, aber der war schon nicht mehr zu sehen.
    Das Tor schwang auf, der Weg beschrieb eine Kurve, und wenige Sekunden später konnte ich einen ersten Blick auf das Rhinehart-Anwesen werfen: vier würfelförmige Holzbauten – eine Garage, ein Geräteschuppen, zwei Wohngebäude für das Personal – und genau geradeaus das Haus selbst. Es besaß nur zwei Stockwerke, war aber von imposanter Ausdehnung, mit einem langen, niedrigen Dach und zwei großen quadratischen Ziegelschornsteinen von der Sorte, wie man sie manchmal bei Krematorien sah. Alles andere war aus Holz, und obwohl das Haus neu war, hatte es schon die verwitterte, silbrig graue Färbung von Gartenmöbeln angenommen, die man ein Jahr lang im Freien hatte stehen lassen. Die hohen Fenster an der Vorderseite, die so schmal wie Schießscharten waren, die graue Farbe, die Blockhütten im Hintergrund, der Wald drumherum, die Wachen am Tor, all das ähnelte einem von Albert Speer entworfenen Feriendomizil. Ich musste an die Wolfsschanze denken.
    Noch bevor der Wagen hielt, öffnete sich die Haustür. Ein weiterer Wachpolizist erschien – weißes Hemd, schwarze Krawatte, graue Jacke mit Reißverschluss – und bat mich mit ernstem Gesicht in die Eingangshalle. Während er schnell meine Schultertasche durchsuchte, schaute ich mich um. Meine Arbeit hat mich schon mit jeder Menge reicher Leute zusammengeführt, aber ich glaube nicht, dass ich jemals zuvor das Haus eines Milliardärs betreten habe. An den glatten weißen Wänden hing eine afrikanische Maske neben der anderen. Beleuchtete Vitrinen präsentierten Holzschnitzarbeiten und primitive Tonfiguren mit gewaltigen Phalli und Torpedobrüsten – von der Art, wie sie unartige Kinder zeichnen, wenn der Lehrer ihnen den Rücken zuwendet. Der Sammlung mangelte es an jedweder Sachkenntnis, Schönheit oder intellektueller Bedeutung. (Wie ich später erfuhr, saß die erste Mrs

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