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Ghost

Titel: Ghost Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Harris
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ich über die Holzbrücke zum Leuchtturm und dann nach Edgartown hinein. Bei Tageslicht kam mir der Ort sogar noch leerer vor als am Abend zuvor. Eichhörnchen sausten ungestört über die Gehwege und flitzten an Baumstämmen hinauf. Ich kam bestimmt an über zwanzig dieser pittoresken Walfangkapitänshäuser aus dem 19. Jahrhundert vorbei, und nicht eines machte den Eindruck, als wäre es bewohnt. Die Widow‘s Walks genannten Ausgucke vorn und an den Seiten der Häuser lagen verlassen da. Keine Frauen, in schwarze Schultertücher gehüllt, die traurig hinaus auf See blickten und daraufwarteten, dass ihr Mannsvolk heimkehrte – was vermutlich daran lag, dass das gesamte Mannsvolk in der Wall Street war. Die Restaurants waren geschlossen, die kleinen Boutiquen und Galerien leer geräumt. Ich hatte mir eigentlich eine winddichte Jacke kaufen wollen, aber kein Geschäft hatte geöffnet. In den Auslagen der Schaufenster nur Staub und vertrocknete Insektenhüllen. »Danke für die tolle Saison!« stand auf den Schildern. »Auf Wiedersehen im Frühjahr!«
    Im Hafen das Gleiche. Die vorherrschenden Farben dort waren Grau und Weiß – graues Meer, weißer Himmel, graue Schindeln auf den Dächern, weiße Schindeln an den Hauswänden, nackte weiße Flaggenmasten, verwitterte blaugraue und grüngraue Pfähle an der Pier, auf denen dazu passende Möwen in Grau und Weiß hockten. Als hätte man für die Farbgestaltung des gesamten Ortes Martha Stewart engagiert – Motto: »Mensch und Natur«. Sogar die Sonne, die diskret über Chappaquiddick schwebte, glänzte in geschmackvoll blassem Weiß.
    Ich hob schützend eine Hand über die Augen und blinzelte zu dem Strandabschnitt mit den abgeschiedenen Ferienhäusern hinüber. Dort hatte die Karriere von Senator Edward Kennedy ihre katastrophale Wendung genommen. Laut meinem Reiseführer war ganz Martha’s Vineyard eine Sommerspielwiese für die Kennedys gewesen, die gern für einen Tag von Hyannisport herübergesegelt kamen. Da gab es diese Geschichte, wie John F. Kennedy – das war während seiner Amtszeit als Präsident – an der privaten Anlegestelle des Edgartown Yacht Club sein Boot hatte festmachen wollen, dann aber abdrehte, als er an Land die in beträchtlicher Anzahl stehenden Clubmitglieder sah, allesamt Republikaner, die mit verschränkten Armen darauf warteten, ob er es wagen würde anzulegen. Das war in dem Sommer gewesen, bevor er erschossen wurde.
    Die wenigen noch vor Anker liegenden Jachten waren mit Winterplanen abgedeckt. Außer einem einsamen Fischerboot mit Außenborder, das zu den Hummerfallen unterwegs war, rührte sich nichts. Ich saß eine Zeit lang am Strand und wartete, ob irgendetwas passieren würde. Möwen stießen kreischend herab. Am Metallmast einer Jacht schepperten die Leinen im Wind. In der Ferne war Hämmern zu hören, ein Haus wurde für den Sommer renoviert. Ein alter Mann führte einen Hund aus. Abgesehen davon, geschah in einer Stunde nichts, was einen Schriftsteller irgendwie von seiner Arbeit hätte ablenken können. Es war das, was sich ein Nichtschriftsteller unter einem Schriftstellerparadies vorstellte. Kein Wunder, dass McAra durchgedreht hatte.

VIER
    »Der Ghostwriter steht auch unter dem Druck vonseiten des Verlegers, etwas Kontroverses auszugraben, was dieser einsetzen kann, um die Vorabdruckrechte zu verkaufen und zum Zeitpunkt des Erscheinens Öffentlichkeit herzustellen.«
    »GHOSTWRITER«
     
     
    Es war mein alter Freund, der taube Taxifahrer, der mich später am Morgen abholte. Weil man mir ein Hotel in Edgartown gebucht hatte, war ich natürlich davon ausgegangen, dass sich auch Rhineharts Anwesen im Ort selbst befand. Es gab ein paar große Häuser mit Blick über den Hafen und sanft abfallenden Gärten, die bis zu privaten Liegeplätzen hinunterreichten. Für mich waren das die vollendeten Milliardärsimmobilien – was einem zeigt, wie ignorant ich bezüglich dessen war, was man sich mit ernst zu nehmendem Reichtum kaufen kann. Stattdessen verließen wir die Stadt, fuhren den Wegweisern nach West Tisbury folgend etwa zehn Minuten durch flache, dicht bewaldete Landschaft und bogen dann, bevor ich überhaupt merkte, dass sich zwischen den Bäumen eine Lücke auftat, links in einen abschüssigen, unbefestigten Sandweg.
    Bis zu diesem Augenblick waren mir Straucheichen unbekannt gewesen. Vielleicht sind sie in vollem Grün schön. Allerdings bezweifle ich, dass die Natur in ihrer gesamten Flora-Abteilung einen

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