Ghostman: Thriller (German Edition)
Minuten. Das hatte ich trotz des Verkehrs geschafft.
Bevor ich etwas tat, zog ich meine Lederhandschuhe an. Ich hinterlasse zwar keine Fingerabdrücke, doch die Hände eines Menschen haben mehr identifizierbare Eigenheiten, als Sie vielleicht glauben. Meine Haut produziert Fett, was zur Folge hat, dass meine Fingerkuppen unverwechselbare, narbige Flecken hinterlassen. Nur ein Experte würde sie erkennen, aber es ist möglich. Außerdem hinterlässt man DNS , die ein Fachmann isolieren könnte. Ich rechnete zwar nicht unbedingt damit, dass ich wegen so etwas gefasst werden könnte, aber ich hatte nicht vor, Risiken einzugehen, die nicht absolut unumgänglich waren.
Vorsichtig ging ich um die Spuren im Staub herum, die die Reifen zweier Autos hinterlassen hatten. Vermutlich stammte der eine Satz Spuren von dem Dodge, den Ribbons hereingefahren hatte, und der zweite von dem Wagen, mit dem er weggefahren war. Ich spähte durch die teilweise zertrümmerte Windschutzscheibe. Überall waren Einschusslöcher, große Löcher, die von dem Gewehr stammten. Im Sitzpolster auf der Fahrerseite waren dicke Blutflecken, die bis hinunter in den Fußraum reichten. Das Blut hatte sich mit den Gewebefasern verbunden und sie wie Farbe verklebt. Es war zum größten Teil noch feucht, aber dick und dunkel geronnen. Sie würden staunen, wie schnell das Zeug eindringt und verklumpt. Es ist nur schwer zu entfernen. Man kann es nur mit kaltem Wasser und Bleichmittel auswaschen. Ich musste es nach einem Job mal tun. Ich beugte mich zum Fenster an der Fahrerseite herunter. Im Innenraum waren Knochensplitter und Gehirnmasse verspritzt, an manchen Stellen in solchen Mengen, dass es beinahe unwirklich aussah.
Blutstropfen erzählen eine Geschichte, und sie ist nicht schwer zu lesen, wenn man weiß, worauf man achten muss. Moreno musste im Wagen gewesen sein, als er erschossen wurde. Die Tropfen an der Frontscheibe waren fein, weniger als einen Millimeter im Durchmesser, und sie waren schon hart geworden. Also war sein Kopf dicht vor dem Lenkrad gewesen und von hinten getroffen worden. Ich verfolgte den Streuwinkel des Spritzmusters zurück zum Ursprung. Die Kugel war durch den Hinterkopf gedrungen, durch das Großhirn gefahren und durch die Stirn wieder ausgetreten. Es war mit großer Wucht geschehen, aber nichts deutete darauf hin, dass Moreno langsam verblutet war. Der Schuss hatte ihn auf der Stelle getötet. Großes Kaliber, gut gezielt.
Ich sah mir Ribbons’ Blut an. Der ganzen Sauerei zum Trotz konnte ich erkennen, welches Blut von wem stammte. Ribbons’ Blut sah anders aus, die Tropfen waren größer, sieben Millimeter breit und dicht beieinander. Der Fleck begann in Schulterhöhe und reichte an der linken Seite des Fahrersitzes herunter. Es war nicht durch eine Kugel verspritzt worden. Nie im Leben. Es war eine sekundäre Blutung, zu der es nach der ursprünglichen Schussverletzung gekommen war. Die dicken Tropfen deuteten auf träges Fließen hin. Ribbons hatte Morenos Leiche offenbar hinausgekippt, hatte sich aber erst auf den Fahrersitz gesetzt, als er selbst schon getroffen worden war. Ich sah mich um, konnte allerdings keine durch den Schuss verursachten Spritzer entdecken. Also hatte es ihn in der Parkgarage erwischt.
Ich versetzte mich für einen Augenblick in seine Lage. Ich schloss die Augen und spürte, wie eine ungeheure Woge von Panik und Schmerz über mich hinwegflutete. Er handelte nur noch instinktiv. Der Fluchtplan war das Einzige, was er noch im Kopf hatte. Das Einzige, worauf er vertraute.
Ich blinzelte und sah mir den Wagen genauer an. Zwischen Fenster und Dichtungsstreifen fand ich Werkzeugspuren, wo einer von ihnen den Wagen aufgebrochen hatte. Sie hatten den Wagen gestohlen und gewusst, dass sie ihn sofort wieder loswerden mussten. In dem Becherhalter zwischen den Blutflecken stand eine leere Halbliterflasche Bourbon aus dem untersten Regal.
Ich musste mir den Ärmel vor die Nase halten. Im Wagen stank es entsetzlich.
Es roch wie eine Klimaanlage, aber widerlich. Schweflig, chemisch– als hätte man Benzin mit Nagellackentferner vermischt. Blut und Hirnmasse riechen nicht so. Ich leuchtete mit der kleinen Lampe an meinem Handy durch das Fenster. Zwischen den Vordersitzen stand eine kleine Ledertasche. Moreno hatte eine solche Tasche unter dem Arm getragen, als wir uns in Dubai getroffen hatten. Ich hatte nie danach gefragt, weil ich wusste, was sie enthielt: einen verbogenen Löffel, ein Feuerzeug, ein
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