Ghostman: Thriller (German Edition)

richtig hingekriegt. Ich setzte die Ziffern in alle vier Ecken und malte einen Kreis um die obere linke und einen Kasten um die obere rechte. Ich zeichnete das Oval mit dem Porträt an die richtige Stelle, und die Worte The United States of America und One Dollar ebenfalls. Diesmal fiel mir ein, dass ganz oben der Schriftzug Federal Reserve Note stand. Ich schrieb ihn hin, und ich erinnerte mich an die beiden offiziellen Siegel zu beiden Seiten, also malte ich Kreise links und rechts neben das Porträt. Unter das Wort America schrieb ich eine beliebige Ziffernfolge, und unter das Wort United setzte ich den Satz This note is legal tender for all debts, public and private. Unter die beiden Siegel kritzelte ich zwei gekringelte Linien, wo die Unterschriften hingehörten.
    Bevor ich ganz fertig war, hielt sie mich auf. » Nein, das ist es auch nicht.«
    Ich zerknüllte das Blatt und fing ein drittes an.
    Ich zeichnete das Rechteck. Ich schrieb die Zahlen in alle vier Ecken.
    Sofort ließ sie mich wieder aufhören.
    » Nein«, sagte sie.
    Ich warf das zusammengeknüllte Blatt über den Tisch.
    » Was willst du denn?«
    » Ich will dir etwas beibringen.«
    » Was kann ich denn dabei lernen?«
    » Du sollst lernen, über das nachzudenken, was du schon zu wissen glaubst.«
    Ich starrte sie finster an und nagte an meiner Unterlippe.
    Angela holte eine Dollarnote aus ihrer Handtasche und legte sie vor mir auf den Tisch mit der Vorderseite nach oben. Druckfrisch. Sie hätte nicht frischer oder neuer oder glatter sein können, wenn sie erst gestern gedruckt und geschnitten worden wäre.
    Ich schaute sie an.
    Sie war schwarz-weiß. Nur die Seriennummer und das Siegel des Finanzministeriums waren grün. Mein Blick blieb daran hängen und verlor sich im Schwarz-Weiß des neuen Geldscheins.
    » Das Gedächtnis ist ein seltsames Ding«, sagte sie. » In unserer Erinnerung ist das amerikanische Geld grün, obwohl die Vorderseite der Scheine es nicht ist. Aber darum geht es nicht.«
    Ich konnte den Blick nicht von dem Schein wenden.
    » Bei dieser kleinen Übung«, sagte sie, » geht es um Vertra ue n.«
    Sie nahm ihren grünen Stift, stand auf und ging weg. Ihr Kaffee wurde auf dem Schreibtisch kalt und blieb dort stehen bis zum Morgen. Erst dann brachte ich es über mich, ihn wegzuschütten. Der Dollarschein blieb liegen. Ich habe ihn immer noch irgendwo. Ich habe ihn als Erinnerung behalten. Woran, das weiß ich nicht genau.
    Am nächsten Tag gingen wir an die Arbeit.

VIERZEHN
    Atlantic City
    Ich folgte der kurzen, gewundenen Strecke durch das Herz der Stadt und rekonstruierte Ribbons’ Flucht im Kopf. Ich sah ihn, wie er vor mir herfuhr und den zerschossenen Fluchtwagen bis an seine Grenzen trieb, bis das Chassis bebte und Rauch unter der Haube hervorquoll. Er kämpfte mit dem Lenkrad. Die Felgen sprühten Funken. Kühlmittel und Öl leckten aus dem Motor. Aber Ribbons fuhr immer weiter. Er musste. Das oder Gefängnis, etwas anderes blieb ihm nicht.
    Wenn man das Casino-Viertel verließ, war es, als stürze man über den Rand der Erde. Dort hinten am Boardwalk brummte das Geschäftsleben der Stadt, doch fünf Straßen weiter sah es aus wie in einem Land der Dritten Welt. Eine Autofahrt von nur drei Minuten führte mich von Hundert-Millionen-Dollar-Penthouses in heruntergekommene Slums, eine Un-Gegend, die an den Mund eines Crack-Junkies denken ließ: Reihenhäuser standen da wie schiefe, verfaulte Zähne mit großen Lücken dazwischen.
    Ich fuhr an einem durchlöcherten Zaun entlang, den die Stadt um den verlassenen Flugplatz errichtet hatte, um die Leute draußen zu halten. Es sah nicht aus, als gebe es hier viel. Eigentlich gar nichts. Ich wäre vielleicht daran vorbeigefahren, wenn ich nicht danach gesucht hätte. Außer dem Motor des Civic war nichts zu hören. In der Nähe sah ich ein ganzes Baseballstadion, dessen Eingänge mit Sperrholzplatten vernagelt waren. Ich fuhr an einem weiteren Zaun entlang, der die Landebahnen vom ehemaligen Parkplatz des Flughafens trennte. In einer völlig anderen Zeit musste es hier Sicherheitskontrollen und Flutlichtscheinwerfer und alle fünfzehn Meter eine Überwachungskamera gegeben haben. Heute würde nachts das einzige Licht von der anderen Seite des schmalen Salzwasserlaufs am Ende der Startbahn her kommen, von dort, wo die Casinos standen, die jetzt am späten Nachmittag ihre langen Schatten über gebrochene Rohrleitungen und die Betontrümmer des ehemaligen Kontrolltowers warfen.