Ghostman: Thriller (German Edition)
einen Colt 1911. Ich kletterte halb auf den Beifahrersitz und spähte durch das zertrümmerte Heckfenster. Ribbons musste mit dem Colt nach hinten geschossen haben. Er hatte sich umgedreht und durch das Fenster gefeuert. Wer war da gewesen? Hatten die Cops ihn verfolgt, oder der dritte Schütze, oder war das alles nur in den zehn Sekunden passiert, die er gebraucht hatte, um den Motor zu starten?
Bei dem abscheulichen Geruch konnte ich kaum noch einen klaren Gedanken fassen. Das kurze, schrille Geräusch, das ich gehört hatte, ertönte jetzt wieder, und diesmal kam es aus nächster Nähe.
Ich zog mein Handy hervor und gab Ziffer für Ziffer Ribbons’ Nummer ein. Dann drückte ich die Ruftaste, und eine Sekunde später kam ein lautes Schrillen von der Fahrerseite, irgendetwas zwischen Glockenton und metallischem Kratzen. Es hallte von den Wänden der geräumigen Halle wider.
Ich fand das Telefon, ein altes Klapphandy, unter dem blutgetränkten Polster des Fahrersitzes. Zwanzig entgangene Anrufe von einer unterdrückten Nummer. Der letzte angenommene Anruf war um fünf Uhr morgens gekommen, ein abgewiesener Anruf um zwei Minuten vor sechs, und noch einer um zwei Minuten nach sechs. Außerdem waren ein paar Dutzend SMS gespeichert. Alle lauteten: Dein Vater sucht dich. Alle stammten von einer unterdrückten Nummer. Die Kontaktliste war leer.
Der letzte eingegangene Anruf war von mir.
Ich stieg aus und ging wieder zurück zum Kofferraum. Der Geruch war widerlich und lenkte mich ab. Ich ließ mich auf ein Knie nieder und leuchtete mit der Lampe meines Handys unter das Fahrgestell. Dabei bedeckte ich Mund und Nase mit dem Ärmel. Als ich unter den Kofferraum schaute, verschwamm mir alles vor den Augen. Ich sah, woher der Geruch kam.
O mein Gott.
SECHZEHN
Unter dem Wagen lag ein silber-brauner Zwanzig-Liter-Benzinkanister. Der Verschluss war gebrochen, und die Flüssigkeit war langsam ausgelaufen und bildete eine große Pfütze. Die Seitenwand des Kanisters war mit einem gelben Gefahrgut-Symbol markiert. Ich wusste sofort, was es war. Naphtha, auch bekannt als Coleman-Benzin. Hergestellt aus Petroleum und Holzkohleteer. Hochentflammbar. Extrem sogar. Es verdunstete langsam unter dem Dodge.
Und schlimmer noch, es war seit mehr als zwölf Stunden da.
In meiner Anfangszeit habe ich mit jedem eine Bank ausgenommen, den ich finden konnte. Ich lernte einen Wheelman kennen, der immer peinlich sauber und gepflegt war. Er kämmte sich das Haar mit einer Pomade, die man in kleinen runden Dosen kaufen konnte. Er war der Typ, dessen Lieblingswort schnittig ist. Schnittiges Auto, schnittiges Aussehen, schnittige Bewegungen. Er fuhr einen silbernen Mustang Shelby GT 500, der so gut erhalten war, dass er aussah, als hätte er ihn durch eine Zeitmaschine gefahren. Der Motor war poliert wie ein Trauring, der Lack so frisch wie ein Rekrut. Er liebte dieses Auto. Nach einem Bankraub in Baltimore, bei dem ich ihm geholfen hatte, indem ich mich als reicher Kunde ausgab, flüchteten wir vor der Polizei mit sechshunderttausend Riesen in Inhaberobligationen, und irgendwie hatten sie herausgefunden, dass wir unser Wegwerfauto gegen den GT eintauschen wollten. Als wir das getan hatten, zögerte der Wheelman keine Sekunde. Er parkte an der erstbesten Stelle, die er für risikolos hielt, und ging die Straße hinunter zum Supermarkt, während ich auf einem Hotelparkplatz ein drittes Fluchtauto klaute. Er kaufte zwanzig Liter Naphtha, ohne dass das Mädchen hinter der Theke auch nur eine Kaugummiblase machte, kippte den ganzen Kanister durch das Seitenfenster in den Wagen, warf ein Streichholz hinterher und ließ das Einzige, was er je geliebt hatte, brennend zurück. Dieser Shelby war sein Leben. Der Sprit ließ den Wagen bis auf das Fahrgestell herunterbrennen. Bis auf den Motorblock. Als die Cops eintrafen, war sein Klassiker nur noch Asche. Das nagelneue Tapedeck. Die Original-Kotflügel. Die spezialangefertigten Ledersitze. Alles hinüber. Nach diesem Job hatten wir beide genug Geld, um eine ganze Flotte dieser GT 500s zu kaufen, aber sein neuer war nicht ganz dasselbe, erzählte er mir. Das Naphtha hatte auch die Seele des Wagens verbrannt.
Ich machte drei Schritte rückwärts und dachte daran, wie mein Wheelman es genannt hatte.
Fackelsprit.
Eilig floh ich vor den giftigen Dämpfen. Als ich draußen war, atmete ich lange und tief durch. Ich hatte gesehen, was dieses Dreckszeug anstellen konnte. Es verwandelte Schrotpatronen in
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