Ghostman: Thriller (German Edition)
Hand den Schalldämpfer ans Brustbein und durchsuchte mit der anderen seine Taschen. In der linken Hosentasche steckte eine schwarze Brieftasche. Auf seinem Führerschein stand der Name John Grimaldi. Er war eins achtzig groß, etwas über dreißig Jahre alt und wohnte draußen in Ventnor. Der Führerschein war ein paar Jahre alt, und auf dem Foto sah er beinahe gut aus. Ich nahm ihn h eraus u nd ließ die Brieftasche auf die Brust des Mannes fallen.
» Hör gut zu, John. Es gibt einen Grund, weshalb ich dir Folgendes sage. Der Wolf wird dich irgendwann finden. Und er wird wissen wollen, was ich gesagt habe. Dann sollst du ihm ein paar Dinge sagen, okay? Du sollst ihm klarmachen: Ich gehöre niemandem. Ich bin nicht Marcus’ Mann. Jetzt nicht und auch in Zukunft nicht. Ich bin nur hier, weil ich die letzten sechs Monate die leere Wand in meinem Apartment angestarrt und darauf gewartet habe, dass sich etwas Interessantes ergibt. Das hier ist interessant. Für solche Augenblicke lebe ich. Und wenn der Wolf seine Leute nicht einen nach dem anderen verlieren möchte, soll er mich in Ruhe lassen oder mir ein neues Angebot machen. Aber diesmal sollte es wirklich interessant sein.«
Das unverletzte Auge des Mannes starrte mich entsetzt an, und er nickte mit dem Eifer der Verzweiflung.
» Ich hoffe, das wirst du behalten, John«, sagte ich.
Ich sah auf die Uhr, hielt die Mündung des Schalldämpfers an sein Knie und drückte ab. Der dumpfe Knall hallte über das Wasser. Sein Auge flatterte kurz, und dann wurde er von dem Schmerz ohnmächtig. Ich nahm sein Telefon, warf es ins Meer und ging wieder hinauf zum Bentley. Die Pistole nahm ich mit.
Ich sah auf die Uhr. Acht Uhr morgens.
Noch zweiundzwanzig Stunden.
NEUNUNDDREISSIG
Ich fuhr zu einem kleinen Motel am Stadtrand. Der Mann an der Rezeption sah mich kaum an. Es war noch früh am Morgen, lange vor Beginn der normalen Check-in-Zeiten, als er mir den Schlüssel reichte. Für ein paar Stunden in ungestörter Anonymität war es gut genug.
Nach ein paar Jahren in diesem Gewerbe sind billige Motels ein zweites Zuhause. An gewisse Dinge gewöhnt man sich. Die Gideonsbibel liegt immer am gleichen Platz. Die Bettwäsche hat immer die gleiche Qualität. Das Zimmer riecht anfangs immer frisch geputzt und nach Fichtennadeln, aber schon bald gewinnt der natürliche Moschusgeruch wieder die Oberhand. In diesem hier roch es nach Ammoniak. Ich atmete tief durch die Nase, schloss die Jalousien und legte die Türkette vor. Es war, als sei ich nach Hause gekommen.
Als ich mich vergewissert hatte, dass ich allein war, holte ich meine Handys heraus. Es ist leicht, ein Funktelefon nach einem zusätzlichen GPS -Tracker zu durchsuchen. Handelt es sich um Hardware, ist er schnell gefunden. So viel Extraplatz ist in den Dingern nicht. Ist es eine Software, kann man sie abschalten. Wenn man den Akku herausnimmt, ist alles aus. Als Erstes blätterte ich durch das Menü und überzeugte mich davon, dass der eingebaute GPS -Transmitter bei jedem Telefon abgeschaltet war. Sie waren es alle. Ich löste die Rückenschalen, um nachzusehen, ob man die Apparate manipuliert hatte. Nacheinander nahm ich Akkus, SIM -Karten, Fraktalantennen und digitale Speicherkarten heraus. Nichts sah ungewöhnlich aus. Ich setzte die Telefone wieder zusammen. Als ich fertig war, legte ich mich auf das Bett und dachte nach. Au f diesem Weg e beschatteten sie mich offensichtlich nicht. Hm.
Ich drehte die Dusche auf, um ein Hintergrundgeräusch zu erzeugen. Das Wasser stieg langsam und mit leisem Singen durch die Leitung herauf. Im Zimmer schaltete ich den Fernseher ein und stellte ihn auf volle Lautstärke. Ich glaubte eigentlich nicht, dass die Wanze Audiosignale übertrug, aber ich wollte kein Risiko eingehen. Nach dem, was vor all den Jahren in den Genting Highlands mit Harrison passiert war, spukten versteckte Mikrofone in meinen Albträumen.
Ich durchsuchte meine Reisetasche und meine Klamotten. Besondere Fingerfertigkeit wäre nicht nötig gewesen, wenn einer der Laufburschen des Wolfs mir einen Sender hätte unterjubeln wollen. Ich stellte mich vor den Badezimmerspiegel und suchte sorgfältig meinen Körper ab. Kehrte jede einzelne Tasche nach außen. Ich kippte die Reisetasche aus und blätterte durch mein Exemplar der Metamorphosen. Nichts.
Lange und eingehend betrachtete ich mich im Spiegel. Ich hatte zwei Tage wenig gegessen und nicht geschlafen, und allmählich fühlte ich mich so alt, wie ich aussah.
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